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Dreiste Ausreden bei bedauerlichen Einzelfällen

Posted: 05 Feb 2018, 08:10
by dejost
Die Nationalratswahl 2017 hat die FPÖ wieder in Regierungsverantwortung gebracht.

In der FPÖ waren (deutschnationale, pflichtschlagende) Burschenschaften schon immer sehr stark überrepräsentiert, rezent hat sich dieser Trend verstärkt und intensiviert - zahlreiche Freiheitliche in hohen Parteipositionen - und jetzt in hohen Staatsfunktionen sind Mitglieder diverser Verenigungen.

Jetzt wäre es demokratisch-naiv zu glauben, dass nicht bei allen Regierungspostenvergaben Seilschaften eine Rolle spielen - ob das jetzt die Roten Falken, die Pfadfinder, eine Wow-Gilde oder eben eine Burschenschaft ist.

Natürlich ist es für Staat und Bevölkerung nachteilig, wenn so nicht die Besten - oder teilweise sogar nur durchschnittlich geeignete - Personen in verwantwortungsvolle Positionen kommen.
Noch viel problematischer wird es dann, wenn diese Seilschaften inhärent anti-demokratisch sind, denn dann besteht die Gefahr dass die Person - das muss ja auch gar nicht absichtlich sein - die Demokratie untergräbt oder sonstwie schädigt.
Und wie Kelsen schon schrieb - wohlgemerkt in einer Verteidigung der Demokratie - "Demokratie ist diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Feinde wehrt. Es scheint ihr tragischtes Schicksal zu sein, daß sie auch ihren ärgsten Feind an ihrer eigenen Brust nähren muß".

Im Zeitalter des Postfaktischen, wo Leute wie Trump - der ja offen zu seiner autoritären Gesinnung steht - demokratisch gewählt werden, ist die Demokratie ja eh schon ordentlich angeschlagen (wenn sie nicht überhaupt schon angezählt am Boden liegt).

Zu Burschen- und Mädelschaften ein paar Links:
https://derstandard.at/2000073620559/Re ... hiessplatz, https://derstandard.at/2000073029690/

Worum soll es also in diesem Topic gehen (das sicherlich, so wie die meisten hier, nur sehr sporadisch befüllt werden wird)?

Personen, die durch die letzte Wahl in hohe Staatsfunktionen gekommen sind, leisten sich rechtsextreme, faschistoide, antisemitische oder sonstwie antidemokratische Ausrutscher. Das ist seit sie wieder in der Regierung sind schon ein, zwei mal vorgekommen und wird - so fürchte ich - auch noch ein paar Mal passieren.
Nach einem medialen Aufschrei (und der ist leider nötig sonst passiert gar nichts, siehe hier) kommt dann eine Reaktion.

Diese Reaktion ist oft eine ziemlich dummdreiste Ausrede.

Da zeigt sich dann oft sehr deutlich, wie ernst die Betroffenen die Kritik nehmen und ob da irgendeine Form von Einsehen da ist - oft eben überhaupt nicht.


Zum Einstieg gleichmal die ersten 2 Beispiele, die mir einfallen:

Landbauer, der Spitzenkandidat der FPÖ in geschlagenen NÖ-Wahlkampf ist Mitglied einer solchen Burschenschaft. Kurz vor Wahlkampffinale wurde ein Liederbuch des Vereins publik, wo in scherzhafter Form die Fortsetzung des Holocausts gefordert wird.
Landbauer gab an, davon nichts zu wissen und sowas nie gesungen zu haben, wobei er dann auch noch dazusagte, ein schlechter Sänger zu sein und er stelle seine Mitgliedschaft ruhend.
Es gab dann noch Aussagen, es sei in seiner Version geschwärzt worden usw.
Wieso ist diese Ausrede dummdreist? Er war stellvertretender Vorsitzender, ist seit 17 Jahren Mitglied und der Verein hat nur etwa 70 Mitglieder.
Er müsste schon ordentlich dämlich sein, um nie mitzubekommen, wie die dort so ticken (egal ob er jetzt selbst die Ansicht teilt oder nicht), ergo dessen hält er die Zuhörer für so blöde, dass sie so eine Ausrede schlucken.
Die Zuhörer waren nicht so blöd, und der öffentliche Druck führte dadurch, dass Landbauer ua nicht Landesregierungsmitglied wurde und dass Ermittlungen eingeleitet wurden.
Außerdem hat sich Strache in so deutlichen Worten von Antisemitismus udgl distanziert, dass er selbst auf seiner eigenen Facebookseite beflegelt wurde. (Für die deutlichen und unmissverständlichen Worte gebührt Strache ein Lob, ob es etwas bringt wird sich aber zeigen).

Kickl hatte rasch nach Amtsantritt als Innenminister die "konzentrierte Unterbringung von Asylwerbern" gefordert - Kickl ist zu klug und wortgewandt, dass ihm so etwas unabsichtlich passiert. Bleibt die Frage, macht er das aus spitzbübischer Freude, die linkslinken Systemmedien zu ärgern, testet er, wie weit er und seine Gesinnungsgenossen sich schon vorwagen können oder hat er von irgendwas ablenken müssen (falls letzteres, ist es ihm gelungen oder war es die Landbauer-Affäre?)? Er hat auch gar keine Ausrede verwendet, sondern ist gleich zum Gegenangriff übergegangen, dass man ihm da irgendwelche (Hinter-)Gedanken unterstellt sei die wahre Provokation.

Re: Dreiste Ausreden bei bedauerlichen Einzelfällen

Posted: 20 Mar 2018, 15:45
by dejost
Ich dachte, hier würden sich tatsächlich dreiste Ausreden sammeln.

Aber diese Phase haben wir schon hinter uns:

https://derstandard.at/2000076472413/Sa ... erroristen

Ein FPÖ-Kandidat in Salzburg teilt rechtsextreme Inhalte, lobt einen Terroristen, lässt sich mit einer Fahne fotografieren, auf der ua "rasseneinheit" steht usw. Für Details siehe den Link.

Aber das ganze ist schon wieder so gesellschaftsfähig, es braucht gar keine Ausreden mehr - alles ist ok, schuld sind die anderen:
Am Montag stellte sich Parteichefin S[.] laut APA erneut hinter R[.] und sprach von "Vorwahlaktionismus" der Kritiker. "Was man jetzt versucht, ist, mit zweifelhaften Methoden einen unserer Kandidaten zu beschädigen."

Re: Dreiste Ausreden bei bedauerlichen Einzelfällen

Posted: 22 Apr 2018, 18:47
by dejost
In Thüringen gibt's einen Neonazi, der betreibt ein Gasthaus, wo man am 20. April Schnitzel um den Geburtstagspreis von 8.88 bekommt. Auch sonst gibt's dort Naziveranstaltungen usw.
Ein Kabinetssmitarbeiter des Verkehrsministers war ein Fan dieses Gasthauses auf Facebook.

So reagierte man auf die Standardanfrage:
"Vielen Dank für die Info zum Restaurant G[.] die uns allen – und auch Herrn P[.] – nicht bekannt war." P[.] kann sich laut eigenen Angaben "nicht erinnern, wie es zum 'Gefällt mir' gekommen ist". "Er hat dieses Gasthaus nie besucht", heißt es in einer Stellungnahme auf die Frage, warum Praxmarer ein Gasthaus im deutschen Bundesland Thüringen gefällt.

derstandard.at/2000078323015/Hofer-Mitarbeiter-gefaellt-Gasthaus-das-Hitlers-Geburtstag-feiert

Dass er nie dort war, glaube ich ihm mal.
Das ist ja nicht die Art Gasthaus, die man wegen des Essens besucht oder auf Facebook teilt.

PS: Zum Thema Thüringen und Nazis hat sich auch schon Böhmermann verbreitert

Re: Dreiste Ausreden bei bedauerlichen Einzelfällen

Posted: 23 Apr 2018, 23:25
by HalberHannes
Ja, auch gehört, überaus absurde Geschichte und wieder einer dieser absurden....wie gesagt...Einzelfälle. ;) Ist halt nur ein wirklich unglücklicher Unfall, dass das immer nur manche Leute trifft, wo man dann halt per Zufall aus der Mode gekommene Sprüche, Tastaturabrutscher und Jugendsünden dabei hat - nur ein Schelm könnte da einen größeren Zusammenhang vermuten. ;-)

Oh und ich fürchte, die direkte Verlinkung geht so leider nicht.

Re: Dreiste Ausreden bei bedauerlichen Einzelfällen

Posted: 09 Oct 2018, 08:35
by dejost
Eines der vielen Topics, wo man beinahe jeden Tag etwas aktuelles schreiben könnte - oder im gegebenen Zusammenhang fast müsste - aber es halt nicht gemacht wird.

Ein aktueller Einzelfall darf berichtet werden:

Ein rechtsextremer Sänger (Details im verlinkten Artikel) wird von einer oberösterreichischen Mittelschulverbindung eingeladen, ein deutscher Neonazi-Sender (übertragt nur im Zwischennetz) lobt die Veranstaltung, die auch einen Ausflug zu Hitlers Geburtshaus umfasst hat.
Eingeladen hat - und ab hier wird es politisch relevant - auch der Ehemann der 3. Nationalratspräsidentin, und ein OÖ Landesrat, ebenfalls FPÖ, ist Mitglied dieser Burschenschaft. Zumindest letzterer gab aber schon im Juni an, davon nichts zu wissen und auch den Sänger nicht zu kennen.

Soweit so schlecht.
Nunmehr gab es eine Anfrage an Innenminister Kickl dazu, er antwortete laut Standard:
Kickls Antworten sind knapp, aber teilweise vielsagend. Von dem Event hätte man erst durch einen Artikel der "Presse" im Juli 2018 erfahren (DER STANDARD hatte im Juni darüber berichtet). Die deutschen Kollegen hätten den Verfassungsschutz nicht informiert. Bemerkenswert scheint die Antwort auf die Frage, ob FPÖ-Funktionäre an der Veranstaltung teilgenommen hätten. Kickl dazu: "Aus datenschutzrechtlichen Gründen muss von einer Beantwortung dieser Fragen Abstand genommen werden." Auch die Frage, ob es zu Straftaten, etwa gegen das NS-Verbotsgesetz, kam und man die auf der Einladung angegeben E-Mail-Adresse zuordnen konnte, will Kickl nicht beantworten – "um allfällige Ermittlungsergebnisse nicht zu konterkarieren". Gegen die Burschenschaft selbst werde aber nicht ermittelt.
derstandard.at/2000088922486/Kickls-Antworten-zu-rechtsextremem-Saenger-in-FPOe-naher-Burschenschaft

Re: Dreiste Ausreden bei bedauerlichen Einzelfällen

Posted: 11 Sep 2019, 10:46
by dejost
https://www.derstandard.at/story/200010 ... zelfaellen

Das Mauthausen-Kommittee hat über 60 Einzelfälle in 13 Monaten dokumentiert.
Fairerweise muss man dazusagen, dass zumindest ein mit Parteiausschlüssen endete und dass die zahlreichen Inserate in rechtsextremen Medien, besonders stark betrieben von Norbert Hofer, auch mitgezählt sind.

Nun aber zu den Ausreden:
In einem Fall wurde die Erfindung des Begriffs "Nazi" den Juden zugeschrieben. Die Verteidgung, die auch vor FPÖ-internen Konsequenzen bewahrte, war Satire.
Es gebe "keinen Hinweis darauf, dass die FPÖ ihre engen Verbindungen zu rechtsextremen Kräften im In- und Ausland ernsthaft beenden will". Eine "zynische Menschenverachtung und Gewaltbereitschaft" seien häufige Merkmale der Einzelfälle. Außerdem sei oftmals eine Nähe zum Nationalsozialismus erkennbar. Antisemitismus in der FPÖ nehme zu, heißt es in der Dokumentation der Einzelfälle.
Eine übergreifende Ausrede wurde gefunden:
Der Nationalratsabgeordnete Gerhard Deimek erklärte sogar, dass die Broschüre "Fake" und "erlogen" sei – und musste diese Behauptung nach einem Prozess widerrufen.

Re: Dreiste Ausreden bei bedauerlichen Einzelfällen

Posted: 05 Aug 2020, 08:10
by dejost
ein FPÖ Stadtrat hat sich selbst mit Reichsadler abgelichtet ("Selfie") und es hochgeladen.

https://www.derstandard.at/story/200011 ... rgt-erneut
seinen eigenen Angaben zufolge hatte Scherz nicht gewusst, dass es sich bei dem Adler um ein NS-Symbol handelt. Das T-Shirt habe er billig in einem Geschäft erworben, der "NÖN" sagte er, er habe "gar nicht so darauf geschaut, was darauf ist". Auf Facebook hat Scherz den Beitrag bereits entfernt.
Viele Poster greifen die Dreistigkeit der Ausrede auf:
Ich wollte mir kürzlich einen supergesunden von meiner Freundin empfohlenen Smoothie kaufen und kam erst zuhause nach ein paar Selfies drauf dass ich irrtümlich eine Flasche Bier erwischt hatte.
Er habe "gar nicht so darauf geschaut, was darauf ist". Das kennt man: ich bin letztens auch mit dem Sommerkleid meiner Frau arbeiten gegangen, weil ich nicht so recht geschaut habe, was ich anhabe.
Also selbst wenn wir Herrn Scherzs Erklärung glauben wollen, bleibt noch die Frage zu klären, wo er einkauft. In welchem normalen Laden liegen T-Shirts mit Reichsadler im Regal?
Das muss ein einschlägiges Geschäft gewesen sein, aber vermutlich hat er auch das nicht gewusst. Ärgerlich ist nur, dass er uns alle für ebenso dumm hält, wie er ganz offenkundig ist.
billig irgendwo gekauft, nicht genau hingeschaut,nicht wirklich gewusst, was das symbol bedeutet...
interessanterweise laufen freiheitliche funktionäre nie in t-shirts mit einem sowjetwappen herum, oder einer regenbogenfahne, oder einem BLM-logo, oder dem X von Malcolm X, oder einem zitat von nelson mandela, oder einer fahne der spanischen republik, und vielem mehr eigenartig, wenn so viele nicht gscheit schaun und so wenige symbole kennen...
Selbst wenn jemand das ernsthaft nicht als Reichsadler erkennt, bzw nicht weiss das dieser ein NS-Symbol ist, dann hat diese Person eine schwerwiegende geschichtliche Wissenslücke die ihn für jedes politische Amt absolut ungeeignet macht.