Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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dejost
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http://derstandard.at/1362108343893/Kei ... ueber-User

Die Staatsanwaltschaft wollte von derStandard.at die Userdaten eines Users, der in Postings mutmaßlich das Amtsgeheimnis verletzte.

Das OLG hat jetzt entschieden, dass sich der Standard diesbezüglich auf das Redaktionsgeheimnis berufen darf und die Informationen nicht hergeben muss.
"Die Entscheidung ist insoweit von weitreichender Bedeutung, als nun vom Oberlandesgericht klargestellt wurde, dass derStandard.at als Betreiber einer Onlinetageszeitung Auskunft über Poster verweigern darf."
"Der Rechtsstaat muss in Kauf nehmen, dass die Effizienz der Strafrechtspflege eingeschränkt wird, weil etwa ein Beamter, der einem Journalisten ein Amtsgeheimnis verraten hat, nicht verfolgt werden kann, wenn das Medium nicht bereit ist, seine Informationsquelle offenzulegen." Poster und Autoren von Leserbriefen können sich nicht [selbst] auf das Redaktionsgeheimnis berufen. Sehr wohl aber Medieninhaber und -mitarbeiter beim Umgang mit deren Daten

harald
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Post by harald »

Auch die ÖBB fängt an, mit den Kundenentschädigungsrechten zu spielen.

Die Schlussanträge des GA zum Thema in der RS C‑509/11:
79. Gestützt auf diese Gründe schlage ich vor, die vom Verwaltungsgerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Frage 1

Art. 30 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr ist dahin auszulegen, dass die für die Durchsetzung dieser Verordnung benannte zuständige nationale Stelle nicht befugt ist, einem Eisenbahnunternehmen, dessen Entschädigungsbedingungen nicht den in Art. 17 der Verordnung festgelegten Kriterien entsprechen, den konkreten Inhalt der von diesem Eisenbahnunternehmen zu verwendenden Entschädigungsbedingungen verbindlich vorzuschreiben, wenn das nationale Recht dieser Stelle lediglich die Möglichkeit einräumt, derartige Entschädigungsbedingungen für unwirksam zu erklären. Die rechtliche Verpflichtung eines Eisenbahnunternehmens, Art. 17 der Verordnung in seiner Auslegung durch die zuständigen nationalen Gerichte und den Gerichtshof nachzukommen, ist jedoch nicht von den Befugnissen der nationalen Stelle oder den ihr zur Verfügung stehenden Sanktionen abhängig.

Frage 2

Art. 17 der Verordnung Nr. 1371/2007 ist dahin auszulegen, dass ein Eisenbahnunternehmen seine nach dieser Bestimmung bestehende Verpflichtung zur Leistung von Fahrpreisentschädigungen in Fällen höherer Gewalt nicht ausschließen darf.
--Harald
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harald
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OGH 15.01.2013, 4 Ob 204/12x

Fernabsatz: Rücktrittsrecht auch bei eBay-"Auktionen"
RIS wrote:Online-Verkäufe, bei denen der Vertrag mit jenem Verbraucher zustande kommt, der bei Ablauf der vom Unternehmer gesetzten Frist das höchste Gebot abgegeben hatte, fallen nicht unter den Begriff der „Versteigerung“ iSv § 5b Z 4 KSchG. Das in § 5e KSchG geregelte Rücktrittsrecht besteht daher auch bei solchen Geschäften.
--Harald
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harald
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Eine zukünftig recht wichtge Entscheidung:
03.09.2013, Beschwerde Nr. 5376/11, M.C. ua / Italien
Verletzung von Art 6 Abs 1 (Recht auf ein faires Verfahren) und Art 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) und Art 1 1. ZP EMRK (Eigentumsfreiheit); Entschädigungszahlungen aufgrund einer Virusinfektion infolge der Verabreichung von ver-unreinigten Blutkonserven; Weigerung, einen Teil der Zahlungen jährlich an die Inflationsrate anzupassen, konventionswidrig
Wenn das auf die Gehälter der öffentlich Bediensteten umzulegen ist, sind 0 Lohnrunden Geschichte!

Dejost, schaust du dir die Entscheidung bitte mal durch, ob du zum gleichen Schluss kommst?
--Harald
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Post by dejost »

harald wrote:Eine zukünftig recht wichtge Entscheidung:
03.09.2013, Beschwerde Nr. 5376/11, M.C. ua / Italien
Verletzung von Art 6 Abs 1 (Recht auf ein faires Verfahren) und Art 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) und Art 1 1. ZP EMRK (Eigentumsfreiheit); Entschädigungszahlungen aufgrund einer Virusinfektion infolge der Verabreichung von ver-unreinigten Blutkonserven; Weigerung, einen Teil der Zahlungen jährlich an die Inflationsrate anzupassen, konventionswidrig
Wenn das auf die Gehälter der öffentlich Bediensteten umzulegen ist, sind 0 Lohnrunden Geschichte!

Dejost, schaust du dir die Entscheidung bitte mal durch, ob du zum gleichen Schluss kommst?
Vorab, das Erkenntnis gibt's nur auf Französisch, und das kann ich nicht.
Daher habe ich nur die englische Presseaussendung gelesen.

Mein Erstreflex wäre gewesen, es hat was damit zu tun, dass die ja massiv an der Gesundheit geschädigt wurden bzw teilweise sogar gestorben sind.

Aber laut Presseerklärung hat der EGMR nur "Peaceful enjoyment of possessions" (Art 1 1. ZPMRK) verletzt gesehen, also die schleichende Entwertung durch die Inflation ohne Ausgleich für eine schon zugesicherte, regelmäßige Geldleistung als Eingriff ins Eigentum gesehen.

Ich komme daher mit den mir zur Verfügung stehenden Informationen zum selben Schluss, dass dies genauso für gesetzlich fixierte Gehälter gelten muss.
(Wobei ich persönlich nicht glaube, dass der EGMR in einem Beamtengehaltsinflationsfall so entscheiden würde, aber das ist nur mein Bauchgefühl, dogmatisch habe ich da keine Argumente.)
edit: und dann müsste das auch für Politikergehälter gelten.

harald
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Post by harald »

Rechtssache C‑616/11 vom 9. April 2014:

T‑Mobile Austria GmbH gegen VKI; die Verrechnung der Zahlscheingebühr könnte fallen!
1. Art. 52 Abs. 3 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG ist dahin auszulegen, dass er auf die Nutzung eines Zahlungsinstruments im Rahmen des Vertragsverhältnisses zwischen einem Mobilfunkbetreiber als Zahlungsempfänger und seinem Kunden als Zahler Anwendung findet.

2. Art. 4 Nr. 23 der Richtlinie 2007/64 ist dahin auszulegen, dass es sich sowohl bei dem Verfahren zur Erteilung eines Überweisungsauftrags durch einen vom Zahler eigenhändig unterschriebenen Zahlschein als auch bei dem Verfahren zur Erteilung eines Überweisungsauftrags im Onlinebanking um Zahlungsinstrumente im Sinne dieser Bestimmung handelt.

3. Art. 52 Abs. 3 der Richtlinie 2007/64 ist dahin auszulegen, dass er den Mitgliedstaaten die Befugnis einräumt, Zahlungsempfängern generell zu untersagen, vom Zahler für die Nutzung eines Zahlungsinstruments ein Entgelt zu verlangen, sofern die nationale Regelung insgesamt der Notwendigkeit Rechnung trägt, den Wettbewerb und die Nutzung effizienter Zahlungsinstrumente zu fördern, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
--Harald
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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Rechtssache C‑26/13 vom 30. April 2014

Der letzte Absatz erscheint mir besonders interessant, deshalb fett:
1. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass
– der Begriff „Hauptgegenstand des Vertrages“ eine in einem Vertrag über ein Fremdwährungsdarlehen zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher enthaltene und nicht im Einzelnen ausgehandelte Klausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nach der der Verkaufskurs dieser Währung bei der Berechnung der Zahlungen zur Darlehenstilgung Anwendung findet, nur dann erfasst, wenn festgestellt worden ist – was das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der Natur, der Systematik und der Bestimmungen des Vertrags sowie seines rechtlichen und tatsächlichen Kontexts zu prüfen hat –, dass die betreffende Klausel eine Hauptleistung dieses Vertrags festlegt, die ihn als solche charakterisiert;
– bei einer solchen Klausel aus der mit ihr verbundenen finanziellen Verpflichtung für den Verbraucher, im Rahmen der Darlehenstilgung die sich aus dem Unterschied zwischen dem Verkaufs- und dem Ankaufskurs der ausländischen Währung ergebenden Differenzbeträge zu entrichten, nicht geschlossen werden kann, dass sie ein „Entgelt“ umfasst, dessen Angemessenheit als Gegenleistung für eine vom Darlehensgeber erbrachte Leistung nicht Gegenstand einer Beurteilung der Missbräuchlichkeit aufgrund von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 sein kann.

2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass das Erfordernis, dass eine Vertragsklausel klar und verständlich abgefasst sein muss, bei einer Vertragsklausel wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden so zu verstehen ist, dass die betreffende Vertragsklausel nicht nur in grammatikalischer Hinsicht für den Verbraucher nachvollziehbar sein muss, sondern dass der Vertrag auch die konkrete Funktionsweise des Verfahrens zur Umrechnung der ausländischen Währung, auf die die betreffende Klausel Bezug nimmt, und das Verhältnis zwischen diesem und dem durch andere, die Auszahlung des Darlehens betreffende Klauseln vorgeschriebenen Verfahren in transparenter Weise darstellen muss, damit der betroffene Verbraucher in der Lage ist, die sich für ihn daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen.

3. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der ein Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher nach Wegfall einer missbräuchlichen Klausel nicht mehr durchführbar ist, dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die es dem nationalen Gericht ermöglicht, der Nichtigkeit der missbräuchlichen Klausel dadurch abzuhelfen, dass es sie durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts ersetzt.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Der Schlussantrag zur RS C-328/13 ist da und liest sich spannend, für mich erwartet und gleichzeitig blöd für die Rücklagen der AUA/Austrian bzw. Tyrolean und Lufthansa:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs wie folgt zu antworten:

Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen auch die Bedingungen einschließen, die durch eine der Kündigung des Kollektivvertrags vorausgegangene innerstaatliche Rechtsvorschrift, die gewährleistet, dass der Kollektivvertrag nach seiner Kündigung in abgeschwächter und begrenzter Form fortbesteht, aufrechterhalten werden.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Die Wirkung der RECHTSKRAFT und somit der Rechtssicherheit wird - wider erwarten - vom EuGH DURCHBROCHEN, obwohl in anderen Entscheidungen früher betont wurde, dass die Rechtskraft eine staatenübergreifende Übung ist, in der nicht eingreifen will.

Rs C-213/13 vom 10. Juli 2014
Sofern ein nationales Gericht wie das vorlegende, das letztinstanzlich entschieden hat, ohne dass der Gerichtshof der Europäischen Union zuvor nach Art. 267 AEUV mit einem Vorabentscheidungsersuchen befasst wurde, nach den anwendbaren innerstaatlichen Verfahrensvorschriften hierzu befugt ist, muss es seine rechtskräftig gewordene Entscheidung, die zu einer mit den Vorschriften der Union über die Vergabe öffentlicher Aufträge unvereinbaren Situation geführt hat, entweder ergänzen oder rückgängig machen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung dieser Vorschriften Rechnung zu tragen.
Ich bin ENTSETZT! :shock:
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by dejost »

Hört sich aber - zumindest nach diesem Textausschnitt - danach an, als ob das nur für das Vergabeverfahren gelten soll und nicht in jedem Fall der EU-Rechtswidrigkeit.

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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

dejost wrote:Hört sich aber - zumindest nach diesem Textausschnitt - danach an, als ob das nur für das Vergabeverfahren gelten soll und nicht in jedem Fall der EU-Rechtswidrigkeit.
Dein Wort in der EU Ohr! In Österreich wurde bisher auch im Bereich des Vergabrechts das erste und einzige Mal ein Verfassungsgesetz durch den VfGH gehoben. Die Wirkungen solcher Aussprüche könnten fatal sein.
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ja, die Fluggastrechte sind mal wieder Thema, die Fluglinien lernen es einfach nicht!

04.09.2014, Rs C‑452/13
Die Art. 2, 5 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass der Begriff „Ankunftszeit“, der verwendet wird, um das Ausmaß der Fluggästen entstandenen Verspätung zu bestimmen, für den Zeitpunkt steht, zu dem mindestens eine der Flugzeugtüren geöffnet wird, sofern den Fluggästen in diesem Moment das Verlassen des Flugzeugs gestattet ist.
Eine nonaned Entscheidung. Wenn man den Boden/Flughafen selbst betreten darf, ist man da. Wahnsinn, dass Germanwings diese Idiotie bis zum EuGH ausstreitet! :doh :n95:
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und weil wir schon in der Flugbranche sind, noch eine Entscheidung die immense Auswirkungen auf eine Lufthansa Tochter hat (auch hier wieder nach dem Motto, es war vorherzusehen):

Entscheidung vom 11.09.2014, Rs C‑328/13
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass „in einem Kollektivvertrag vereinbarte Arbeitsbedingungen“ im Sinne dieser Bestimmung auch solche mit einem Kollektivvertrag festgelegten Arbeitsbedingungen sind, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats trotz Kündigung dieses Vertrags weiter auf Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren, nachwirken, solange für diese Arbeitsverhältnisse nicht ein neuer Kollektivvertrag wirksam oder mit den betroffenen Arbeitnehmern nicht eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird.
Ich würde der Lufthansa inklusive aller Konzerntöchter empfehlen, ihren Rechtsstreitstil zu überdenken, macht nicht allzu gute PR regelmäßig zu verlieren.
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Iudex non calculat? Das gilt in diesem Fall sicher nicht. Hier geht es um Unfallversicherung und verschiedene Berchnungsmethoden zwischen Mann und Frau. Das nationale Gericht hat noch viel zu erheben, daher gilt diesem mein Mitleid. :tw

RS C‑318/13 vom 03.09.2014:
1. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift entgegensteht, aufgrund deren die unterschiedliche Lebenserwartung für Männer und Frauen als versicherungsmathematisches Kriterium für die Berechnung der infolge eines Arbeitsunfalls zu zahlenden gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen der sozialen Sicherheit herangezogen wird, wenn bei Verwendung dieses Kriteriums die an einen Mann zu zahlende einmalige Entschädigungsleistung niedriger ausfällt als die Entschädigung, die eine gleichaltrige Frau erhalten würde, die sich im Übrigen in einer vergleichbaren Situation befindet.

2. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für eine Haftung des Mitgliedstaats erfüllt sind. Im Hinblick auf die Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Bestimmung einen „hinreichend qualifizierten“ Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, wird dieses Gericht u. a. zu berücksichtigen haben, dass sich der Gerichtshof noch nicht dazu geäußert hat, ob bei der Bemessung einer Leistung, die nach dem gesetzlichen Sozialversicherungssystem gezahlt wird und in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fällt, ein auf die durchschnittliche Lebenserwartung je nach dem Geschlecht gestützter Faktor berücksichtigt werden darf. Das vorlegende Gericht wird ebenso der den Mitgliedstaaten vom Unionsgesetzgeber eingeräumten Möglichkeit, die in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie in Art. 9 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen Ausdruck gefunden hat, Rechnung zu tragen haben. Im Übrigen wird es zu berücksichtigen haben, dass der Gerichtshof am 1. März 2011 (C‑236/09, EU:C:2011:100) entschieden hat, dass die erste dieser Bestimmungen ungültig ist, da sie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen verstößt.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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OGH vs. VfGH lautete die Paarung vor dem EuGH. Der EuGH antwortet ungewohnt diplomatisch, der OGH soll es fürs Erste für sich entscheiden:

Rs C‑112/13 vom 11.09.2014:
1. Das Unionsrecht, und insbesondere Art. 267 AEUV, ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der die ordentlichen Gerichte, die auf ein Rechtsmittel hin oder in letzter Instanz entscheiden, im Rahmen eines bei ihnen anhängigen Verfahrens, wenn ihrer Auffassung nach ein nationales Gesetz gegen Art. 47 der Charta verstößt, das Verfassungsgericht mit einem Antrag auf allgemeine Aufhebung des Gesetzes zu befassen haben, statt sich darauf zu beschränken, das Gesetz im konkreten Fall unangewandt zu lassen, soweit die Vorrangigkeit dieses Verfahrens zur Folge hat, dass die ordentlichen Gerichte – sei es vor einer solchen Antragstellung bei dem für die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zuständigen nationalen Gericht, sei es gegebenenfalls nach dessen Entscheidung über den Antrag – an der Wahrnehmung ihrer Befugnis oder der Erfüllung ihrer Verpflichtung gehindert sind, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dagegen ist das Unionsrecht, und insbesondere Art. 267 AEUV, dahin auszulegen, dass es einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht, soweit es den ordentlichen Gerichten freisteht,

– in jedem Moment des Verfahrens, den sie für geeignet halten, und selbst nach Abschluss eines Zwischenverfahrens zur allgemeinen Normenkontrolle dem Gerichtshof jede Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, die sie für erforderlich halten,

– jede Maßnahme zu erlassen, die erforderlich ist, um den vorläufigen gerichtlichen Schutz der durch die Rechtsordnung der Union eingeräumten Rechte sicherzustellen, und

– nach Abschluss eines solchen Zwischenverfahrens die fragliche nationale gesetzliche Bestimmung unangewandt zu lassen, wenn sie sie als unionsrechtswidrig ansehen.

Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften im Einklang mit diesen Anforderungen des Unionsrechts ausgelegt werden können.

2. Art. 24 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass dann, wenn ein innerstaatliches Gericht für einen Beklagten, dessen Wohnsitz unbekannt ist und dem daher das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt worden ist, nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften einen Abwesenheitskurator bestellt hat und dieser sich auf das Verfahren einlässt, dies nicht einer Einlassung des Beklagten auf das Verfahren im Sinne von Art. 24 dieser Verordnung gleichkommt, die die internationale Zuständigkeit des innerstaatlichen Gerichts begründet.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Der EuGH meint in der RS C-487/12 vom 18.09.2014, dass Konsumenten doch noch nicht ganz verblödet sind und daher Ticketbedingungen bezüglich Gepäck lesen sollen:
Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der Luftfahrtunternehmen verpflichtet sind, in jedem Fall für den Preis des Flugscheins nicht nur den Fluggast zu befördern, sondern auch das von ihm aufgegebene Gepäck, ohne dass für dessen Beförderung Zusatzkosten verlangt werden dürfen, sofern es gewissen Anforderungen, u. a. an sein Gewicht, entspricht.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Spannend, dass die Rs C-291/13 vom 11.09.2014 nicht den Weg einer Übersetzung gefunden hat. Daher auf Englisch:
1. Article 2(a) of Directive 2000/31/EC of the European Parliament and of the Council of 8 June 2000 on certain legal aspects of information society services, in particular electronic commerce, in the Internal Market (‘Directive on electronic commerce’) must be interpreted as meaning that the concept of ‘information society services’, within the meaning of that provision, covers the provision of online information services for which the service provider is remunerated, not by the recipient, but by income generated by advertisements posted on a website.
2. In a case such as that at issue in the main proceedings, Directive 2000/31 does not preclude the application of rules of civil liability for defamation.
3. The limitations of civil liability specified in Articles 12 to 14 of Directive 2000/31 do not apply to the case of a newspaper publishing company which operates a website on which the online version of a newspaper is posted, that company being, moreover, remunerated by income generated by commercial advertisements posted on that website, since it has knowledge of the information posted and exercises control over that information, whether or not access to that website is free of charge.
4. The limitations of civil liability specified in Articles 12 to 14 of Directive 2000/31 are capable of applying in the context of proceedings between individuals relating to civil liability for defamation, where the conditions referred to in those articles are satisfied.
5. Articles 12 to 14 of Directive 2000/31 do not allow information society service providers to oppose the bringing of legal proceedings for civil liability against them and, consequently, the adoption of a prohibitory injunction by a national court. The limitations of liability provided for in those articles may be invoked by the provider in accordance with the provisions of national law transposing them or, failing that, for the purpose of an interpretation of that law in conformity with the directive. By contrast, in a case such as that in the main proceedings, Directive 2000/31 cannot, in itself, create obligations on the part of individuals and therefore cannot be relied on against those individuals.
Es geht um zivilrechtliche Verantwortlichkeit einer Zeitung und üble Nachrede!
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Sozialdumping als Feature des Binnenmarktes, ja das hat der EuGH wieder einmal bestätigt. In Zeiten, in denen Inflation nicht mehr über Geldentwertung durch Anwerfen der Notenpressen, sondern durch Herabsetzung der Mindestgehälter durchgeführt wird, sehe ich hier einen gefährlichen Wettlauf beginnen.

Nun zu den rechtlichen Schlussfolgerungen des EuGH in der Rs C‑549/13 vom 18.09.2014:
In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, in der ein Bieter beabsichtigt, einen öffentlichen Auftrag ausschließlich durch Inanspruchnahme von Arbeitnehmern auszuführen, die bei einem Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dem der öffentliche Auftraggeber angehört, beschäftigt sind, steht Art. 56 AEUV der Anwendung von Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem dieser öffentliche Auftraggeber angehört, entgegen, die diesen Nachunternehmer verpflichten, den genannten Arbeitnehmern ein mit diesen Rechtsvorschriften festgelegtes Mindestentgelt zu zahlen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Das Verwaltungsgericht Wien hatte einen Fall zu entscheiden, wo ein Arzt eine Genehmigung für das Mitführen einer Waffe haben wollte, ua weil er in Kontakt mit problematischen Patienten kam. Dazu hält das Gericht fest (Heraushebung von mir):
Auch das gelegentliche Kratzen, Beißen oder Bespucken durch Patienten stellt keine besondere Gefährdungssituation dar, welcher durch den Einsatz einer Schusswaffe begegnet werden müsste oder auch sollte.
(VwG W v 16.10.2014, VGW-103/062/28792/2014)

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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Der EGMR sagt, bei (unzulässigen) #Leaks durch öffentliche Stellen verletzen die Staaten Art 8 #EMRK.

http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pag ... 001-150781
http://hudoc.echr.coe.int/webservices/c ... 87-6141231
http://blog.lehofer.at/2015/02/Apostu.html

Ein rumänischer Politiker (der später wegen Korruptionsdelikten verurteilt wurde, ob rechtskräftig weiß ich nicht) wurde telefonüberwacht.
Die Protokolle fanden den Weg an die Presse, wurden veröffentlicht und enthielten auch private Informationen.

Er wandte sich (ua) direkt an den EGMR.

Der hat gesagt, es ist ok, dass er sich gleich an den EGMR gewandt hat. Zwar hätte er die Medien klagen können, aber es ging ihm ja schon um Rechtsschutz gegen die Weitergabe der Protokolle. Gegen diesen gibt es aber gar kein wirksames innerstatliches Rechtsmittel, drum war die Anrufung ok.

Es ist grundsätzlich Sache des Staates, seine Dienste so zu organisieren und seine Mitarbeiter so zu schulen, dass sichergestellt ist, dass keine vertrauliche oder geheime Information offengelegt wird, das hat der EGMR auch schon früher so gesehen.
Da im Beschwerdefall der Staat darin versagt hat, entsprechend seiner Verpflichtung für die sichere Verwahrung der in seinem Besitz befindlichen Information zu sorgen, und da er nach erfolgter Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens auch keine Möglichkeit der Abhilfe bereitstellte, hat er eine Verletzung des Art 8 EMRK zu verantworten.

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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Adipositas eine Behinderung, na das wird ja heitere Kostenkonsequenzen haben! :doh (Ich möchte gleich dazu sagen, dass ich nicht Gegner dieser Entscheidung bin, die Kostenfolgen werden die westlichen Staaten aber vielleicht an den Rand der Finanzierbarkeit der Sozialsysteme bringen, da es sich hier um eine Volkskrankheit handelt, die jetzt auch als Behinderung zu werten ist; denn Leistungen diese Gruppe der Behinderten nicht zuzugestehen, die anderen Behinderten zustehen, wäre vermutlich eine verfassungsrechtlich verpönte Ungleichbehandlung und auch eine europarechtliche Diskriminierung.)

EuGH Rs C‑354/13, 18.12.2014:
1. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es kein allgemeines Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas als solcher in Beschäftigung und Beruf enthält.

2. Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass die Adipositas eines Arbeitnehmers eine „Behinderung“ im Sinne dieser Richtlinie darstellt, wenn sie eine Einschränkung mit sich bringt, die u. a. auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist, die ihn in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren erfüllt sind.
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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

EuGH SA zur Rs C-226/13 (und weiteren) vom 09.11.2014
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Landgericht Wiesbaden und vom Landgericht Kiel gestellten Fragen wie folgt zu antworten:

Der Begriff „Zivil- oder Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates ist dahin auszulegen, dass eine von einer Privatperson, die von einem Mitgliedstaat emittierte Anleihen hält, gegen diesen Staat erhobene Haftungsklage wegen des zwangsweisen Umtauschs der von ihr gehaltenen Anleihen gegen Anleihen geringeren Wertes im Anschluss an den Erlass eines Gesetzes durch den nationalen Gesetzgeber, mit dem einseitig und rückwirkend die Emissionsbedingungen der Anleihen durch Einfügung einer Umschuldungsklausel geändert wurden, die es einer Mehrheit der Anleiheninhaber erlaubt, einen solchen Umtausch mit Wirkung auch für die Minderheit zu beschließen, nicht unter diesen Begriff fällt.
Spannend ist, dass hier anscheinend eine Staatshaftungsklage (gegen Griechenland) vorliegt, die aufgrund eines gesetzlichen Eingriffs in Anleihebedingungnen aber bei der Zustellung nicht unter Zivil- oder Handelssachen. Das bedeutet, dass Auslandszustellungen in solchen Verfahren recht kompliziert werden können.

Bin mir nicht ganz sicher, ob der EuGH da den Schlussanträgen folgen wird.
Last edited by harald on 09 Feb 2015, 13:47, edited 1 time in total.
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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Das Urteil Rs C-470/13 vom 18.12.2014 ist an sich keine große Überraschung für Vergabejuristen.

Die Randnummern 27-29 sind jedoch ein Hammer, denn es sagt dezidiert, dass seitens der Gerichte das grenzüberschreitendes Interesse zu prüfen ist, und zwar auch, wenn die Vergabe unterhalb der Schwellenwerte für europäische Vergaben liegt. Das ist zwar nichts Neues, aber ein derart klarer Hanldungs-/Prüfauftrag für die Gerichte ist mir bis dato in diesem Bereich nicht aufgefallen!
27 Zweitens ist in Bezug auf die vom vorlegenden Gericht angeführten Bestimmungen des AEU-Vertrags darauf hinzuweisen, dass ein Auftrag, wenn er nicht unter die Richtlinie 2004/18 fällt, weil er nicht den in deren Art. 7 festgelegten maßgeblichen Schwellenwert erreicht, den Grundregeln und den allgemeinen Grundsätzen des Vertrags unterliegt, sofern an diesem Auftrag insbesondere wegen seiner Bedeutung und des Ortes seiner Ausführung ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a, C‑159/11, EU:C:2012:817, Rn. 23, und Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici, C‑358/12, EU:C:2014:2063, Rn. 24).

28 Das vorlegende Gericht hat allerdings nicht die Gesichtspunkte festgestellt, die erforderlich sind, damit der Gerichtshof prüfen kann, ob im Ausgangsverfahren ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Der Gerichtshof muss jedoch, wie sich aus Art. 94 seiner Verfahrensordnung in ihrer am 1. November 2012 in Kraft getretenen Fassung ergibt, einem Vorabentscheidungsersuchen eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen, und des Zusammenhangs zwischen diesen Umständen und den Fragen entnehmen können. Die Feststellung der Gesichtspunkte, die erforderlich sind, um das Bestehen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses prüfen zu können, sowie ganz allgemein sämtliche Feststellungen, die von den nationalen Gerichten zu treffen sind und von denen die Anwendbarkeit eines Aktes des Sekundärrechts oder des Primärrechts der Union abhängt, sollten daher vor einer Befassung des Gerichtshofs erfolgen (vgl. Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ u. a., C‑113/13, EU:C:2014:2440, Rn. 47).

29 Hat das vorlegende Gericht in Bezug auf das Bestehen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses keine derartigen vorherigen Feststellungen getroffen, so führt dies in Anbetracht der Zusammenarbeit, die das Verhältnis zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens kennzeichnet, nicht zur Unzulässigkeit des Ersuchens, sofern sich der Gerichtshof trotz dieser Unzulänglichkeiten in der Lage sieht, dem vorlegenden Gericht anhand der in der Akte enthaltenen Angaben eine sachdienliche Antwort zu geben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Vorlageentscheidung genügend einschlägige Angaben enthält, damit beurteilt werden kann, ob ein derartiges Interesse besteht. Die Antwort des Gerichtshofs steht allerdings unter der Prämisse, dass das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren nach eingehender Würdigung aller maßgeblichen Gegebenheiten des Falles ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse feststellt (vgl. Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ u. a., EU:C:2014:2440, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Unter diesem Vorbehalt werden die folgenden Ausführungen gemacht.
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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Der EuGH nähert sich dem österreichischen Preisauszeichnungsgesetz bei Flugdiensten rasant an:

EuGH Rs C‑573/13, vom 15.01.2015
1. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft ist dahin auszulegen, dass der zu zahlende Endpreis im Rahmen eines elektronischen Buchungssystems wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden bei jeder Angabe von Preisen für Flugdienste, einschließlich bei ihrer erstmaligen Angabe, auszuweisen ist.

2. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1008/2008 ist dahin auszulegen, dass der zu zahlende Endpreis im Rahmen eines elektronischen Buchungssystems wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht nur für den vom Kunden ausgewählten Flugdienst, sondern auch für jeden Flugdienst auszuweisen ist, dessen Preis angezeigt wird.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Aus der folgenden Entscheidung RS C-28/12 vom 28.04.2015 können wir viel über die Zuständigkeiten der Organe der EU bei der Vertretung nach außen lernen:
1. Der Beschluss 2011/708/EU des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 16. Juni 2011 über die Unterzeichnung – im Namen der Union – und vorläufige Anwendung des Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika als erster Partei, der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Island als dritter Partei und dem Königreich Norwegen als vierter Partei und über die Unterzeichnung – im Namen der Union – und vorläufige Anwendung des Zusatzabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Island als zweiter Partei und dem Königreich Norwegen als dritter Partei betreffend die Anwendung des Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika als erster Partei, der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Island als dritter Partei und dem Königreich Norwegen als vierter Partei wird für nichtig erklärt.

2. Die Wirkungen des Beschlusses 2011/708 werden aufrechterhalten, bis innerhalb angemessener Frist nach Verkündung des vorliegenden Urteils ein neuer, vom Rat der Europäischen Union nach Art. 218 Abs. 5 und 8 AEUV zu erlassender Beschluss in Kraft getreten ist.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Eine sehr umstrittene Entscheidung, wenn jemand den Überblick über die Reaktionen der medizinischen Fachwelt hat, bitte posten! Auch das ergebnis des nationalen Gerichts wäre spannend!

RS vom C‑528/13 vom 29.04.2015
Nr. 2.1 des Anhangs III der Richtlinie 2004/33/EG der Kommission vom 22. März 2004 zur Durchführung der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich bestimmter technischer Anforderungen für Blut und Blutbestandteile ist dahin auszulegen, dass das in dieser Bestimmung enthaltene Kriterium für einen Ausschluss von der Blutspende, nämlich das Sexualverhalten, den Fall erfasst, dass ein Mitgliedstaat im Hinblick auf die in diesem herrschende Situation eine dauerhafte Kontraindikation bei Blutspenden für Männer vorsieht, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, wenn aufgrund der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse und Daten feststeht, dass ein solches Sexualverhalten für diese Personen ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt und dass es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine wirksamen Techniken zum Nachweis dieser Infektionskrankheiten oder mangels solcher Techniken weniger belastende Methoden als eine solche Kontraindikation gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen in dem betreffenden Mitgliedstaat erfüllt sind.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Click Wrapping, kanntet ihr den Begriff? Ich noch nicht. Lesen von EuGH Urteilen bildet also wirklich. Geklärt wurde hier, wie AGB dauerhaft zur Verfügung gestellt werden:

RS C‑322/14 vom 21.05.2015:
Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ist in dem Sinne auszulegen, dass bei einem auf elektronischem Wege geschlossenen Kaufvertrag wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, durch das sogenannte „click wrapping“ eine elektronische Übermittlung, die eine dauerhafte Aufzeichnung dieser Vereinbarung ermöglicht, im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn dabei das Ausdrucken und Speichern des Textes der Geschäftsbedingungen vor Abschluss des Vertrags ermöglicht wird.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Tja, vor einiger Zeit hat der VfGH beschlossen, dass er alle Bestimmungen auch an der EU GRC messen wird. Insgeheim ist dabei der Gedanke mitgeschwungen, dass man vielleicht einiges abfangen kann, bevor es auf EU Ebene landet. Der EuGH hat nun in einem deutschen Fall klargestellt: ihr könnt und müsst mich immer fragen, auch parallel zu einer Verfassungsprüfung. :twisted: :n57:

RS C-5/14 vom 04.06.2015:
1. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das Zweifel an der Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift sowohl mit dem Unionsrecht als auch mit der Verfassung des betreffenden Mitgliedstaats hat, auch dann, wenn ein Zwischenverfahren zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift bei dem nationalen Gericht anhängig ist, das mit der Durchführung dieser Kontrolle betraut ist, befugt bzw. gegebenenfalls verpflichtet ist, dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts vorzulegen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Bitcoins überall, jetzt auch beim EuGH:

Schlussanträge in der RS C-264/14 vom 16.07.2015:
1. Der Umtausch eines reinen Zahlungsmittels in ein gesetzliches Zahlungsmittel und der umgekehrte Umtausch, für den jeweils eine Vergütung zu entrichten ist, die der Erbringer dieser Leistung bei der Festlegung der Wechselkurse einrechnet, ist eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie.

2. Solche Umsätze sind nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Steuer befreit.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Wer immer schon mal wissen wollte, wie ein fast glasklarer Fall von Diskriminierung aussieht, möge sich die SA in der RS C-83/14 vom 12.03.2015 ansehen:
1) In einem Gebiet, das überwiegend von Menschen einer bestimmten ethnischen Gruppe bewohnt wird, können sich auch andere dort ansässige Personen, die selbst nicht dieser ethnischen Gruppe angehören, auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der ethnischen Herkunft berufen, wenn sie von einer Maßnahme aufgrund ihres pauschalen und kollektiven Charakters mitdiskriminiert werden.

2) Werden Verbrauchern im Normalfall kostenlose Stromzähler zur Verfügung gestellt, die in einer für Sichtkontrollen zugänglichen Art und Weise in oder an Gebäuden angebracht sind, wohingegen solche Stromzähler in Gebieten, in denen überwiegend Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Roma leben, an Strommasten in einer nicht zugänglichen Höhe von rund 6 m befestigt sind, so besteht der erste Anschein einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43.

3) Eine solche Maßnahme kann gerechtfertigt sein, sofern sie dazu dient, Betrug und Missbrauch zu verhindern sowie zu einer Sicherung der Qualität der Elektrizitätsversorgung im Interesse aller Verbraucher beizutragen, vorausgesetzt dass

a) mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand keine anderen, gleich geeigneten Maßnahmen zur Verwirklichung dieser Ziele ergriffen werden können, welche sich weniger nachteilig auf die Bevölkerung in dem betroffenen Gebiet auswirken würden, und

b) die getroffene Maßnahme zu keiner übermäßigen Beeinträchtigung der Bewohner des betroffenen Gebiets führt, wobei

– die drohende Stigmatisierung einer ethnischen Gruppe deutlich schwerer wiegt als rein wirtschaftliche Überlegungen und

– das Interesse der Elektrizitätsendkunden, ihren individuellen Energieverbrauch durch eine regelmäßige Sichtkontrolle ihrer Stromzähler zu verfolgen, gebührend zu berücksichtigen ist.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

1. „Kärnten is lei ans.“
Wer rechnet, dass ein Schlussantrag eines Generalanwaltes (MACIEJ SZPUNAR) so anfängt? Es ist ein erheiternder Beginn für ein Thema, dessentwegen Österreich schon oft vor den EuGH gezerrt wurde. Es geht um Gebietsschutz, in diesem Fall, um den der Rauchfangkehrer in Kärnten.

SA zu RS C-293/14 vom 16.07.2015:
1. Tätigkeiten wie diejenigen eines Rauchfangkehrers im Bundesland Kärnten, einschließlich Tätigkeiten im Bereich der Feuerpolizei, stellen keine Tätigkeiten dar, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. i der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt und Art. 51 AEUV verbunden sind. Sie fallen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123.

2. Art. 14 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach jede Person, die eine Gewerbeberechtigung als Rauchfangkehrer erlangen möchte, in dem Mitgliedstaat ansässig sein muss.

3. Art. 10 Abs. 4 und Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach die Gewerbeberechtigung eines Rauchfangkehrers grundsätzlich auf ein bestimmtes Kehrgebiet beschränkt ist.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by dejost »

Kein Grundrecht auf YouTube-Zugang, aber EGMR verurteilt Türkei wegen YouTube-Sperre

HP Lehofer, in seinem von mir oft gelobten und verlinkten Blog, berichtet über dieses Judikat.
http://blog.lehofer.at/2015/12/Cengiz.html

Ultrakurzfassung:
Türkei hat Youtube generell gesperrt. EGMR hat das als Eingriff in Art 10 EMRK eingestuft, weil die Beschwerdeführer Youtube (auch) beruflich nutzen. Die Sperre wurde als EMRK-widrig eingestuft, weil es in der Türkei (damals) keine Rechtsgrundlage gab. Aussagen, ob bzw unter welchen Umständen eine generelle Sperre von Youtube udgl EMRK-kompatibel wäre, enthält das Urteil nicht.

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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Mit den Treibstoffpreisen ist der VwGH jetzt beim EuGH umtriebig geworden:

VwGH vom 21.10.2015, 2012/17/0097:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken; im Folgenden: UGP-RL) der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die die Möglichkeit der Betreiber von Tankstellen, die Preise für Treibstoffe zu ändern, in zeitlicher Hinsicht derart beschränkt, dass nur eine einmalige Festsetzung eines höheren Verkaufspreises pro Tag zulässig ist?

2. Sofern Frage 1 nicht schlechthin zu bejahen ist, sondern es im Sinne der Rechtsprechung des EuGH bei der Prüfung der Zulässigkeit einer solchen Beschränkung anhand der Bestimmungen der Art 5 bis 9 der UGP-RL auf die Umstände des Einzelfalles ankommen sollte:

Welche Gesichtspunkte wären bei der nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-540/08 erforderlichen Prüfung der Zulässigkeit einer solchen Beschränkung im Einzelfall anhand der Bestimmungen der Art 5 bis 9 der UGP-RL im Falle der Regelung einer Beschränkung der Möglichkeit der Erhöhung von Verbraucherpreisen zu berücksichtigen?
Sollte beim EuGH unter C-565/15 zu finden sein.
--Harald
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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ja, und weil ich gerade bei Vorlagefragen bin, hier geht es um Apotheken und Gebietsschutz (mal wieder!):
LVwG-050006 vom 24. November 2015
Abstract:
Mit Beschluss vom 15. Oktober 2015, C-581/14, hat der EuGH u.a. ausgeführt, dass sich aus dem Vorlageantrag des LVwG OÖ ergibt, dass zwischen diesem und dem VwGH eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Tragweite des Urteils „Sokoll-Seebacher“ (vom 13.2.2014, C‑367/12) besteht; hierzu habe das LVwG OÖ den EuGH allerdings in seinem Antrag vom 8. Dezember 2014 nicht befragt (RN 29). Der damit implizit verbundenen Anregung, hinsichtlich der Auslegung des Urteils vom 13.2.2014, C 367/12, neuerlich an den EuGH heranzutre-ten, hat das LVwG OÖ durch die Stellung eines entsprechenden (neuerlichen) Vorlageantrages entsprochen.
Normen: Art. 49 AEUV; Art. 267 AEUV; Art. 91 EuGH-VerfO; Art. 7 B-VG; § 10 ApG
Rechtssätze:
* Nach Auffassung des LVwG OÖ lässt sich insbesondere aus den RN 28 und 29 des Beschlusses des EuGH vom 15. Oktober 2015, C-581/14, ableiten, dass im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen nationalen Gerichten über die Auslegung einer Entscheidung des EuGH ein neuerliches Herantreten an den Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nicht zwangsläufig zu einer a-limine-Zurückweisung wegen „res iudi-cata“ führt: Denn obwohl die Urteile und Beschlüsse des EuGH gemäß Art. 91 Abs. 1 und 2 der Verfahrensord-nung des Gerichtshofs vom 25. September 2012 (EuGH-VerfO) jeweils mit deren Verkündung bzw. Zustellung rechtskräftig werden, dürfte dadurch eine bloß weitere Präzisierung einer prozessualen Enderledigung des Ge-richtshofs durch diesen selbst nicht gehindert sein, zumal es sich ja auch insoweit wohl um eine „Auslegung der Verträge“ i.S.d. Art. 267 Abs. 1 AEUV handelt;
* Die vom EuGH im Urteil vom 13. Februar 2014, C-367/12 („Sokoll-Seebacher“), getroffenen Feststellungen sind nach Ansicht des LVwG OÖ dahin zu verstehen, dass die Regelung der Bedarfsprüfung in der Form, wie diese – derzeit immer noch – in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG festgelegt ist, nicht bloß in Sonderkonstellationen wie dünn besie-delten ländlichen Gebieten, sondern vielmehr grundsätzlich dem Art. 49 AEUV widerspricht, weil sie es infolge des darin normierten starren Grenzwertes – anstelle eines bloßen Richtwertes – von 5.500 Personen der Behör-de (etwa im Gegensatz zu § 10 Abs. 6 ApG, der im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ein ausnahmsweises Unterschreiten der prinzipiell fixen 500-Meter-Entfernung zulässt) nicht ermög-licht, Spezifika des konkreten Einzelfalles angemessen, nämlich zu Gunsten des kohärent anzustrebenden Pri-märzieles einer optimalen Heilmittelversorgung der Bevölkerung bzw. des gleichen und angemessenen Zuganges zu Apothekendienstleistungen (dem gegenüber das Ziel des Bestandsschutzes bereits bestehender Apotheken wohl in den Hintergrund zu treten hat), zu berücksichtigen. Dass in diesem EuGH-Urteil die Hervorhebung von „dünn besiedelten ländlichen Regionen“ (bzw. eigentlich: von „Menschen mit eingeschränkter Mobilität“) in nahe liegender Anlehnung an das einschlägige dg. Vorjudikat vom 1. Juni 2010, C 570/07 („Blanco Pérez und Chao Gómez“), bloß paradigmatisch, nämlich zur Verdeutlichung der mit einer starren Grenze verbundenen Auswir-kungen, erfolgte, dürfte sich auch daraus ergeben, dass dessen Tenor (bloß) lautet (vgl. nach RN 53):
„Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, ist dahin auszulegen, dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die als essenzielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ei-ne starre Grenze von ‚weiterhin zu versorgenden Personen‘ festlegt, entgegensteht, weil die zuständigen nationalen Behörden keine Möglichkeit haben, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderhei-ten zu berücksichtigen.“
3
In diesem Urteilsspruch ist also keine Bezugnahme auf „dünn besiedelte ländliche Gebiete“, auf „Menschen mit eingeschränkter Mobilität“ o.Ä. enthalten;
* Dem gegenüber scheint jedoch der VwGH – beginnend mit seinem Erkenntnis vom 27. März 2014, Zl. 2013/10/0209, bis zu seiner im vorliegenden Fall maßgeblichen Entscheidung vom 30. September 2015, Ro 2014/10/0081 (m.w.N.) – davon auszugehen, dass das in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG festgelegte Bedarfskriterium der „weiterhin zu versorgenden Personen“ nach dem Urteil des EuGH vom 13. Februar 2014, C 367/12 („Sokoll-Seebacher“), lediglich dann und insoweit als unionsrechtswidrig anzusehen ist, als dieses in Sachverhaltskonstel-lationen heranzuziehen wäre, in denen die Versorgungssituation, d.h. die Erreichbarkeit einer Arzneimittelabga-bestelle, für die in bestimmten ländlichen und abgelegenen Gebieten wohnhafte Bevölkerung zu prüfen ist; im Übrigen stehe § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG jedoch nicht im Widerspruch zu Art. 49 AEUV, weshalb diese Bestimmung in Verfahren zur Erteilung einer Neukonzession bzw. in Verfahren, in denen die Erweiterung des Standortes der Betriebsstätte jeweils einer im städtischen Raum gelegenen Apotheke zu beurteilen ist, uneingeschränkt zum Tragen kommt;
* Vor dem Hintergrund dieser Auslegungsdivergenz hat das LVwG OÖ dem EuGH im Rahmen eines neuerlichen Vorabentscheidungsantrages folgende Frage vorgelegt:
„Ist Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, im Hinblick auf die bzw. unter Zugrundelegung der vom Gerichtshof der Europäischen Union in dessen Urteil vom 13. Februar 2014, C-367/12 (ECLI:EU:C:2014:68 – „Sokoll-Seebacher“), im Tenor (bzw. in RN 51) getroffene Feststellung, dass eine mitgliedstaatlichen Regelung wie § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, die als essenzi-elles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze von weiterhin zu versorgenden (konkret: in einem Ausmaß von 5.500) Personen festlegt, entge-gensteht,
a) dahin zu verstehen, dass der Umstand der Festlegung nicht bloß eines flexiblen Richt-, sondern eines exakten (d.h. eines ziffernmäßig bestimmten und somit im Wege der Auslegung nicht flexibilisierbaren) Grenzwertes diese Regelung gesamthaft besehen inkohärent und damit unionsrechtswidrig macht, weil die zuständigen nationalen Behörden damit generell keine Möglichkeit haben, von diesem Grenzwert ab-zuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen (zumal ja die in RN 24 des vorangeführten Ur-teils aufgestellten Kriterien für eine kohärente und systematische Zielerreichung jeweils kumulativ vorlie-gen müssen) – mit der Folge, dass jenes Bedarfsprüfungskriterium innerstaatlich so lange nicht anzuwen-den ist, bis dieses vom nationalen Gesetzgeber durch eine unionsrechtskonforme, flexiblere Regelung (etwa analog zu § 10 Abs. 6 ApG hinsichtlich der in § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG festgelegten 500-Meter-Grenze) ersetzt wird?
oder
b) dahin zu verstehen, dass die in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG normierte Festlegung nicht bloß eines flexiblen Richt-, sondern eines exakten (d.h. eines ziffernmäßig bestimmten und somit im Wege der Auslegung nicht flexibilisierbaren) Grenzwertes lediglich dann und insoweit unionsrechtswidrig ist, wenn bzw. als die-se in einem konkreten Fall auf eine Sachverhaltskonstellation anzuwenden ist, in der auf Grund örtlicher Besonderheiten oder sonstiger faktischer Gegebenheiten tatsächlich deshalb ein Bedarf an der Neuerrich-tung einer Apotheke besteht, weil anders für bestimmte Personen (insbesondere für sog. „Einfluter“, Neu-zugezogene etc.) kein angemessener Zugang zu Arzneimitteln gewährleistet ist (vgl. RN 45 i.V.m. RN 50 des vorangeführten Urteils), selbst wenn dadurch das Versorgungspotential für eine oder mehrere bereits bestehende(n) Apotheke(n) künftig tatsächlich unter 5.500 Personen sinken sollte – mit der Folge, dass jenes Bedarfsprüfungskriterium bis zu einer klarstellenden Neuregelung durch den nationalen Gesetzge-ber nur in solchen Konstellationen, jedoch gleichermaßen für ländliche, städtische oder sonstige Gebiete, nicht anzuwenden ist?
oder
c) dahin zu verstehen, dass die in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG normierte Festlegung nicht bloß eines flexiblen Richt-, sondern eines exakten (d.h. eines ziffernmäßig bestimmten und somit im Wege der Auslegung nicht flexibilisierbaren) Grenzwertes nur dann und insoweit unionsrechtswidrig ist, wenn bzw. als diese in einem konkreten Fall auf eine Sachverhaltskonstellation anzuwenden ist, die sich auf eine ländliche und abgelegene Gegend bezieht, selbst wenn dadurch das Versorgungspotential für eine oder mehrere bereits bestehende(n) Apotheke(n) künftig tatsächlich unter 5.500 Personen sinken sollte – mit der Folge, dass jenes Bedarfsprüfungskriterium bis zu einer klarstellenden Neuregelung durch den nationalen Gesetzge-ber nur dann nicht anzuwenden ist, wenn dies Auswirkungen auf die Bevölkerung in einem ländlichen und/oder abgelegenen Gebiet hat?“
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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dejost wrote:Kein Grundrecht auf YouTube-Zugang, aber EGMR verurteilt Türkei wegen YouTube-Sperre

HP Lehofer, in seinem von mir oft gelobten und verlinkten Blog, berichtet über dieses Judikat.
http://blog.lehofer.at/2015/12/Cengiz.html

Ultrakurzfassung:
Türkei hat Youtube generell gesperrt. EGMR hat das als Eingriff in Art 10 EMRK eingestuft, weil die Beschwerdeführer Youtube (auch) beruflich nutzen. Die Sperre wurde als EMRK-widrig eingestuft, weil es in der Türkei (damals) keine Rechtsgrundlage gab. Aussagen, ob bzw unter welchen Umständen eine generelle Sperre von Youtube udgl EMRK-kompatibel wäre, enthält das Urteil nicht.
Nur für den Fall, dass die Lehofer Unterseite verschwindet:
AFFAIRE CENGİZ ET AUTRES c. TURQUIE
(Requêtes nos 48226/10 et 14027/11)
--Harald
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harald
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Beweisverwertungsverbot?

Post by harald »

Steht aufgrund der Rechtssache C-419/14 ein BEWEISVERWERTUNGSVERBOT ANTE PORTAS? Sowas ist ja dem österreichischen Recht so gut wie überall fremd:
1. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass für die Beurteilung, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ein Lizenzvertrag, der die Verpachtung von Know-how zum Gegenstand hatte, durch das der Betrieb einer Website ermöglicht wurde, über die interaktive audiovisuelle Dienstleistungen erbracht wurden, und der mit einer Gesellschaft geschlossen wurde, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als die lizenzgebende Gesellschaft hat, auf einen Rechtsmissbrauch zurückzuführen war, durch den ausgenutzt werden sollte, dass der auf diese Dienstleistungen anwendbare Mehrwertsteuersatz in diesem anderen Mitgliedstaat niedriger war, die Tatsache, dass der Geschäftsführer und alleinige Anteilsinhaber der lizenzgebenden Gesellschaft der Urheber dieses Know-hows war, die Tatsache, dass diese Person einen Einfluss auf oder eine Kontrolle über die Entwicklung und die Nutzung des Know-hows und die Erbringung der auf diesem Know-how beruhenden Dienstleistungen ausübte, die Tatsache, dass die Verwaltung der Finanztransaktionen, des Personals und der für die Erbringung der Dienstleistungen erforderlichen technischen Mittel von Subunternehmern erledigt wurde, sowie die Gründe, die die lizenzgebende Gesellschaft dazu bewegt haben können, das fragliche Know-how an die in dem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft zu verpachten anstatt es selbst zu nutzen, für sich genommen nicht entscheidend erscheinen.

Das vorlegende Gericht hat sämtliche Umstände des Ausgangsverfahrens zu untersuchen, um zu bestimmen, ob dieser Vertrag eine rein künstliche Gestaltung darstellte, durch die verschleiert wurde, dass die betreffende Dienstleistung tatsächlich nicht von der lizenznehmenden Gesellschaft, sondern in Wirklichkeit von der lizenzgebenden Gesellschaft erbracht wurde, wobei es insbesondere ermitteln muss, ob die Errichtung des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit oder der festen Niederlassung der lizenznehmenden Gesellschaft nicht den Tatsachen entsprach oder ob diese Gesellschaft für die Ausübung der fraglichen wirtschaftlichen Tätigkeit keine geeignete Struktur in Form von Geschäftsräumen, Personal und technischen Mitteln aufwies oder ob sie diese wirtschaftliche Tätigkeit nicht in eigenem Namen und auf eigene Rechnung, in Eigenverantwortung und auf eigenes Risiko ausübte.

2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass im Fall der Feststellung einer missbräuchlichen Praxis, die dazu geführt hat, dass als Ort einer Dienstleistung ein anderer Mitgliedstaat bestimmt wurde als der, der ohne diese missbräuchliche Praxis bestimmt worden wäre, die Tatsache, dass die Mehrwertsteuer in dem anderen Staat gemäß dessen Rechtsvorschriften entrichtet wurde, einer Nacherhebung der Mehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem diese Dienstleistung tatsächlich erbracht wurde, nicht entgegensteht.

3. Die Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer ist dahin auszulegen, dass die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die prüft, ob für Leistungen, für die in anderen Mitgliedstaaten bereits Mehrwertsteuer entrichtet worden ist, Mehrwertsteuer verlangt werden kann, dann verpflichtet ist, an die Steuerbehörden dieser anderen Mitgliedstaaten ein Auskunftsersuchen zu richten, wenn ein solches Ersuchen nützlich oder sogar unverzichtbar ist, um festzustellen, dass in dem erstgenannten Mitgliedstaat Mehrwertsteuer verlangt werden kann.

4. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es dem, dass die Steuerbehörde bei der Anwendung von Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 325 AEUV sowie Art. 2, Art. 250 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem zum Nachweis des Vorliegens einer missbräuchlichen Praxis im Bereich der Mehrwertsteuer Beweise verwenden darf, die im Rahmen eines parallel geführten, noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens ohne Wissen des Steuerpflichtigen z. B. durch eine Überwachung des Telekommunikationsverkehrs und eine Beschlagnahme von E-Mails erlangt wurden, nicht entgegensteht, sofern durch die Erlangung dieser Beweise im Rahmen des Strafverfahrens und ihre Verwendung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht die durch das Unionsrecht garantierten Rechte verletzt werden.

Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens hat das Gericht, das die Rechtmäßigkeit eines auf diese Beweise gestützten Bescheids über eine Mehrwertsteuernacherhebung prüft, nach Art. 7, Art. 47 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zum einen zu überprüfen, ob es sich bei der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs und der Beschlagnahme von E‑Mails um gesetzlich vorgesehene und im Rahmen des Strafverfahrens erforderliche Untersuchungsmaßnahmen handelte, und zum anderen, ob die Verwendung der durch diese Maßnahmen erlangten Beweise durch die Steuerbehörde ebenfalls gesetzlich vorgesehen und erforderlich war. Außerdem hat es zu überprüfen, ob dem Steuerpflichtigen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens gemäß dem allgemeinen Grundsatz der Achtung der Verteidigungsrechte Zugang und rechtliches Gehör zu diesen Beweisen gewährt wurde. Stellt es fest, dass dies nicht der Fall war oder dass bei der Erlangung dieser Beweise im Rahmen des Strafverfahrens oder deren Verwendung im Verwaltungsverfahren gegen Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen wurde, hat es diese Beweise zurückzuweisen und den betreffenden Bescheid aufzuheben, wenn er deswegen keine Grundlage hat. Diese Beweise sind auch dann zurückzuweisen, wenn das genannte Gericht nicht befugt ist, nachzuprüfen, ob sie im Rahmen des Strafverfahrens im Einklang mit dem Unionsrecht erlangt wurden, oder sich nicht zumindest aufgrund einer von einem Strafgericht im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens bereits ausgeübten Nachprüfung vergewissern kann, dass sie im Einklang mit dem Unionsrecht erlangt wurden.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und strittigen Gebietsschutz gibt es auch bei den Rauchfangkehrern. Da hat der EuGH aber nun schon eine Entscheidung getroffen und zwar mit C‑293/14.
1. Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass sie auf die Ausübung eines Gewerbes wie des im Ausgangsverfahren fraglichen des Rauchfangkehrers insgesamt anwendbar ist, auch wenn dieses Gewerbe nicht nur die Ausübung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten umfasst, sondern auch die Erfüllung von Aufgaben der „Feuerpolizei“.

2. Die Art. 10 Abs. 4 und 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die die Genehmigung für die Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes insgesamt auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt, entgegenstehen, wenn diese Regelung nicht in kohärenter und systematischer Weise das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit verfolgt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.

Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2006/123 ist dahin auszulegen, dass er einer solchen Regelung nicht entgegensteht, wenn die Aufgaben der „Feuerpolizei“ als mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in Zusammenhang stehend einzustufen wären, sofern die vorgesehene territoriale Beschränkung für die Erfüllung dieser Aufgaben unter Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts erforderlich und verhältnismäßig ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Neues zum Thema Fluggastrechte:

EuGH RS C‑257/14
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein technisches Problem wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das unerwartet auftrat, das nicht auf eine fehlerhafte Wartung zurückzuführen und auch nicht während einer regulären Wartung festgestellt worden ist, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.
Also ohne Ersatzmaschinen am Gebrechensort wird es heutzutage immer klarer, dass die Beträge in der FluggastrechteVO bei technischen Gebrechen zu bezahlen sind. Gut für den Konsumenten, schlecht für die Fluglinien. :tw
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Diese EGMR Entscheidung finde ich besonders interessant:

EGMR 37553/05 CASE OF KUDREVIČIUS AND OTHERS v. LITHUANIA
Keine Verletzung von Art 11 EMRK (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit); bedingte Haftstrafe für beschwerdeführenden Bauern, die im Zuge einer Demonstration drei wichtige Hauptverkehrsverbindungen mehrere Tage blockiert hatten; zwar weder Akte der Gewalt noch Aufruf dazu seitens der Beschwerdeführer, jedoch schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung; hinreichende Interessenabwägung
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Der VKI hat auch mal verloren und zwar in einer nicht allzu unwichtigen Angelegenheit:

EuGH RS C-326/14
Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und ‑diensten (Universaldienstrichtlinie) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Änderung der Entgelte für die Bereitstellung elektronischer Netz- oder Kommunikationsdienste gemäß einer Entgeltanpassungsklausel, die in den allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Unternehmens, das diese Dienste anbietet, enthalten ist und vorsieht, dass eine solche Änderung anhand eines von einer staatlichen Stelle ermittelten objektiven Verbraucherpreisindex erfolgt, keine „Änderung der Vertragsbedingungen“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, die den Teilnehmer berechtigt, seinen Vertrag ohne Zahlung von Vertragsstrafen zu widerrufen.
Kurz: VPI Anpassungen lösen keine Sonderkündigungsrecht aus.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und der EuGH hat auch Überraschungen parat:

In Österreich dachte man (und ich gehöre dazu), dass Präklusion, wie auch der vom EuGH schon anerkannte Bestandschutz, vom EuGH anerkannt und daher beibehalten werden.

Nicht jedoch bei der RS C-166/14:
Das Recht der Europäischen Union, insbesondere der Grundsatz der Effektivität, steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Erhebung einer Klage auf Schadensersatz wegen eines vergaberechtlichen Verstoßes von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das Vergabeverfahren mangels vorheriger Bekanntgabe rechtswidrig war, und der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit binnen einer sechsmonatigen Ausschlussfrist gestellt werden muss, die ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag zu laufen beginnt – und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers Kenntnis haben konnte.
Effektivität geht also doch vor Präklusion. Ich sehe den Bestandschutz auch schon im Wanken!
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Wer noch nicht wusste, dass das BANKGEHEIMNIS ein SCHMÄH ist, hier gibt es die Antwort in den Schlussanträgen des Generalanwaltes schriftlich:

SA RS C-522/14
72. Ich bin daher der Meinung, dass die Vorschrift des § 33 ErbStG in Bezug auf das Ziel, dem sie dienen soll, verhältnismäßig ist, so dass die mit dieser Vorschrift bewirkte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit als gerechtfertigt angesehen werden kann.

– Das Problem des in Österreich geltenden Bankgeheimnisses

73. Ich bin mir natürlich der Schwächen einer solchen Entscheidung im Hinblick auf die Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit bewusst. Es lässt sich nämlich kaum übersehen, dass, wenn das vorlegende Gericht auf der Grundlage des Urteils des Gerichtshofs die Vorschrift des § 33 ErbStG als mit dem Unionsrecht vereinbar ansieht und, was damit einhergeht, die Entscheidung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, bestätigt, dies in keiner Weise die Probleme der Sparkasse Allgäu löst. Diese Bank wird nämlich weiterhin mit zwei sich widersprechenden rechtlichen Verpflichtungen konfrontiert sein. Dies trifft umso mehr zu, als das Ersuchen der deutschen Steuerbehörde die Übermittlung von Informationen aus vergangenen Jahren betrifft, also über verstorbene Kunden, die etwa ihr Einverständnis zur Übermittlung dieser Informationen nicht erteilen können.

74. In diesem Fall wären meiner Ansicht nach die österreichischen Behörden aufgrund der Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit und des Vorrangs des Unionsrechts verpflichtet, die Vorschriften über das Bankgeheimnis so auszulegen oder ihre Anwendung so einzuschränken, dass den Zweigstellen deutscher Kreditinstitute, die im Hoheitsgebiet Österreichs tätig sind, die Übermittlung von Informationen aufgrund von § 33 ErbStG ermöglicht wird(39). Das betrifft die Pflicht zur Übermittlung dieser Informationen natürlich nur insoweit, als sie mit dem Unionsrecht vereinbar und damit insbesondere auf das erforderliche Minimum beschränkt ist.

Ergebnis

75. Angesichts aller vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die ihm vom Bundesfinanzhof zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 49 AEUV ist dahin gehend auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, die Zweigstellen inländischer Kreditinstitute in anderen Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegt, bei diesen Zweigstellen verwahrte Vermögenswerte von Inländern des ersten dieser Mitgliedstaaten im Fall des Todes ihres Eigentümers den inländischen Steuerbehörden anzuzeigen, nicht entgegensteht, sofern diese Pflicht auf das zur Gewährleistung wirksamer steuerlicher Kontrollen erforderliche Minimum beschränkt ist.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Eine Untergrenze für den Einzug einer Partei in einen Vertretungskörper von 5% ist laut EGMR ok:

EGMR vom 28.01.2016, 65840/10 (konnte ich noch nicht online finden).
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

EuGH Entscheidung, 19.04.2016 - C-441/14
Geltung des Altersdiskriminierungsverbots auch im Rechtsstreit zwischen Privaten ("DI")
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

EuGH, 21.04.2016 - C-377/14
Rechtsangleichung - Der Gerichtshof stellt fest, dass die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen die Einhaltung der Vorschriften des Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes zu prüfen, auf Insolvenzverfahren Anwendung findet
Das LVwG OÖ ist nicht nur das einzige gallische Dorf, das sich gegen die Verwaltungsgerichtsreform in der nunmehrigen Form sträubt, nein es hat sogar die EU-Rechtskonformität des nunmehrigen Verwaltungsverfahrens in Frage gestellt. Das Wort Inquistionsprinzip fiel dabei. Aufgrund dieses EuGH Erkenntnisses erlaube ich mir nun die Vorhersage, dass das LVwG eine Antwort bekommen wird, die ihm vielleicht nicht ganz schmeckt.

Mehr zum Hintergrund:

https://uvsvereinigung.wordpress.com/20 ... more-10382
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

So, wie Massenüberwachung verboten ist, so dürfen auch Rechtsanwälte und RAA ständig und unbefristet bei Gericht kontrolliert werden (ok der Vergleich hinkt ein wenig).

Auslöser für die Entscheidung des VwGH vom 22.06.2016, Ra 2016/03/0051, war das Bundesverwaltungsgericht, das alle Besucher ausnahmslos beim Eingang filzte:

edit by Amdin: vielleicht geht's mit dem folgenden Link:
https://www.ris.bka.gv.at/JudikaturEnts ... 0160622L00

Da konnte das Bundesverwaltungsgericht noch so sehr darauf pochen, dass sogar den Rechtsanwälten Waffen abgenommen wurden. Vielleicht denkt der Gesetzgeber irgendwann mal über eine Änderung des Gerichtsorganisationsgesetzes nach? :tw
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Vielleicht gibt es ja jemanden, den die Wiener Besoldungsordnung interessiert:

EuGH vom 20.07.2016, Rs C-341/15:
Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist wie folgt auszulegen:

– Er steht nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, nach denen ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis infolge seines Antrags auf Versetzung in den Ruhestand beendet wurde und der nicht in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende dieses Arbeitsverhältnisses zu verbrauchen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub hat.

– Ein Arbeitnehmer hat beim Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub, den er nicht genommen hat, weil er aus Krankheitsgründen seine Aufgaben nicht wahrgenommen hat.

– Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis beendet wurde und der nach einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung während eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin sein Entgelt bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, hat keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den während dieses Zeitraums nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.

– Es ist zum einen Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob sie Arbeitnehmern neben dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren. In diesem Fall können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass ein Arbeitnehmer, der vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aus Krankheitsgründen seinen zusätzlichen bezahlten Jahresurlaub nicht in vollem Umfang verbrauchen konnte, Anspruch auf eine diesem zusätzlichen Zeitraum entsprechende finanzielle Vergütung hat. Zum anderen ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Gewährung festzulegen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Bei Rechtsmissbrauch im Diskriminierungsrecht muss irgendwo und irgendwann Schluss sein, sagt der EuGH am 28.07.2016, RS C-423/15:
Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sind dahin auszulegen, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt und, wenn die nach Unionsrecht erforderlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen, als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Fluglinien sind auch dem Arbeitgeber gegenüber zum Schadenersatz verpflichtet, wenn der Flug eines AN verspätet ist. Voraussetzung, dass der Beförderungsvertrag vom AG geschlossen wurde.

EuGH vom 17.02.2016, RS C‑429/14
Das Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. Mai 1999, das mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde, insbesondere seine Art. 19, 22 und 29, ist dahin auszulegen, dass ein Luftfrachtführer, der einen Vertrag über die internationale Beförderung mit einem Arbeitgeber von als Reisenden beförderten Personen wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden geschlossen hat, gegenüber diesem Arbeitgeber für den Schaden haftet, der durch die Verspätung von Flügen entstanden ist, die dessen Arbeitnehmer gemäß diesem Vertrag in Anspruch genommen haben, und wodurch dem Arbeitgeber zusätzliche Kosten entstanden sind.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Der Bund hatte sich ja in einigen Verfahren mit altersdiskriminierenden Bestimmungen beim Entgelt auseinanderzusetzen, bis zur letzten Dienstrechtsnovelle hat der Bund immer den kürzeren gezogen, nach dieser sieht es aktuelle besser für den Bund aus (wobei es noch nicht heißt, dass dies von Seite der Höchstgerichte schon vollends erledigt ist).

Beim Überstellungsverlust hat der VwGH keine Revision zugelassen und somit indirekt keine (Argumente für eine) Altersdiskriminierung erkannt.

Jetzt haben es Beamte natürlich auch beim Ruhegenussanspruch versucht, Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres angerechnet zu bekommen. Da sieht der EuGH aber keine Diskriminierung.

EuGH vom 16.06.2016, Rs C-159/15
Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Anrechnung von Lehr- und Beschäftigungszeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Ruhegehaltsanspruchs und die Berechnung der Höhe seines Ruhegehalts ausschließt, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung bei einem Pensionssystem für Beamte die einheitliche Festsetzung einer Altersgrenze für die Mitgliedschaft und einer Altersgrenze für den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems gewährleisten soll.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Eine Entscheidung zu Fluggastrechten: wenn jemand von der First Class in die Business Class herabgestuft wird, gibt es auch Geld.

EuGH vom 22.06.2016, RS C-255/15
1. Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass im Fall einer Herabstufung eines Fluggasts auf einem Flug für die Ermittlung der dem betroffenen Fluggast geschuldeten Erstattung der Preis des Fluges zugrunde zu legen ist, auf dem der Fluggast herabgestuft wurde. Ist ein solcher Preis auf dem den Fluggast zur Beförderung auf diesem Flug berechtigenden Flugschein nicht angegeben, ist auf den Teil des Flugscheinpreises abzustellen, der dem Quotienten aus der Länge der betroffenen Flugstrecke und der der Gesamtstrecke der Beförderung entspricht, auf die der Fluggast einen Anspruch hat.

2. Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass für die Ermittlung der einem Fluggast im Fall einer Herabstufung auf einem Flug geschuldeten Erstattung nur der Preis des reinen Fluges ohne die auf dem Flugschein ausgewiesenen Steuern und Gebühren zu berücksichtigen ist. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Steuern und Gebühren weder dem Grunde noch der Höhe nach von der Klasse abhängen, für die der Flugschein erworben wurde.
Lernen kann man daraus einiges:

1.) Emirates ist nicht nur in der Wüste zu Hause, also kann eine zivilrechtliche Klage Sinn machen. Man muss halt schauen, ob es auch etwas Vergleichbares für Österreich gibt, wie "Direktion für Deutschland".
2.) Das nationale Gericht ist nicht zu beneiden, da die Fluggesellschaften gerne Preissteigerungen auch bei den Steuern und Gebühren abhängig von der Beförderungsklasse vorsehen. Dies zu erheben, wird nicht so einfach. Ich würde gerne wissen, wie das nationale Verfahren ausgeht, befürchte aber, dass es aufgrund der Zuständigkeit des Amtsgerichtes Düsseldorf nicht einfach wird, das Endergebnis im WWW zu finden. :(
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters gilt auch zwischen Privatpersonen! :shock:

Ich bin echt gespannt, wann der EuGH judizieren wird, dass private Vermieter Behinderte Personen als Mieter annehmen müssen, wenn die Vermietung nicht zustande kommt, weil der Vermieter das private Objekt nicht barrierefrei umbauen will und das der einzige Ablehnungsgrund ist. :evil:

EuGH vom 19.04.2016, RS C-441/14
1. Das allgemeine Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass es auch in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach Arbeitnehmer – unabhängig davon, ob sie sich dafür entscheiden, auf dem Arbeitsmarkt zu verbleiben, oder beschließen, in Rente zu gehen – keine Entlassungsabfindung beziehen können, wenn sie Anspruch auf eine Altersrente haben, die von ihrem Arbeitgeber aus einem Rentensystem gezahlt wird, dem sie vor Vollendung ihres 50. Lebensjahrs beigetreten sind.

2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einem in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fallenden Rechtsstreit zwischen Privatpersonen befasst ist, die von ihm anzuwendenden Vorschriften seines nationalen Rechts so auslegen muss, dass sie im Einklang mit dieser Richtlinie angewandt werden können, oder, falls eine solche richtlinienkonforme Auslegung unmöglich ist, erforderlichenfalls alle Vorschriften des nationalen Rechts, die gegen das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstoßen, unangewendet lassen muss. Weder die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes noch die Möglichkeit für den Einzelnen, der glaubt, durch die Anwendung einer gegen das Unionsrecht verstoßenden nationalen Vorschrift geschädigt worden zu sein, den betreffenden Mitgliedstaat wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht haftbar zu machen, können diese Verpflichtung in Frage stellen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Der Zwangsweisewechsel vom Ruhegenussanspruch ins allgemeine Rentensystem aufgrund Dienstbeendigung ist diskriminierend, wenn der Beamte in einem anderen Mitgliedsstaat in den öffentlichen Dienst eintritt.

EuGH vom 13.07.2016, C-187/15
1. Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der eine in einem Mitgliedstaat verbeamtete Person, die auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, ihre Ansprüche auf Ruhegehalt aus der Beamtenversorgung verliert und in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert wird, wobei die daraus folgenden Altersrentenansprüche niedriger als die Ruhegehaltsansprüche sind.

2. Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass es dem nationalen Gericht obliegt, für die volle Wirksamkeit dieses Artikels Sorge zu tragen und den Arbeitnehmern in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ruhegehalts- bzw. Altersrentenansprüche zuzuerkennen, die jenen von Beamten vergleichbar sind, die trotz eines Dienstherrenwechsels der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit entsprechende Ruhegehaltsansprüche behalten, indem es das innerstaatliche Recht im Einklang mit diesem Artikel auslegt oder, falls eine solche Auslegung nicht möglich ist, entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts unangewendet lässt, um dieselbe Regelung anzuwenden, die für diese Beamten gilt.
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ob ein durchschnittlich rechtstreuer Schwachsinniger einem derartigen Affekt unterlegen wäre?

Post by dejost »

Wohl aber ist zu beurteilen, ob auch ein durchschnittlich rechtstreuer Schwachsinniger einem derartigen Affekt unterlegen wäre
OGH, 29.09.1987
15Os127/87
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Jus ... 0_000.html
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 15.September 1962 geborene Harald A*** auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechenz des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 15.September 1986 in Bad Hofgastein versucht, den Adolf O*** vorsätzlich zu töten
Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wurden verworfen.
Gewiß ist es richtig, daß sich die Vergleichsperson, auf die es bei der Prüfung der Frage ankommt, ob der tiefgreifende Affekt, in welchem sich jemand zur (vorsätzlichen) Tötung eines anderen hinreißen läßt, in Relation zu seinem Anlaß sittlich verständlich ist, dem individuellen Täter möglichst annähern muß, sodaß als (fiktive) Maßfigur ein rechtstreuer Mensch von der körperlichen und geistigen Beschaffenheit des Täters in der speziellen Tatsituation heranzuziehen ist; demzufolge ist nicht zu prüfen, ob ein intellektuell durchschnittlich begabter Mensch genauso in eine heftige Gemütsbewegung geraten wäre wie ein Schwachsinniger. Wohl aber ist zu beurteilen, ob auch ein durchschnittlich rechtstreuer Schwachsinniger einem derartigen Affekt unterlegen wäre: zwar nicht ein intellektuelles Durchschnittsniveau ist dem hier aktuellen objektiven Maßstab zugrunde zu legen, wohl aber eine durchschnittliche Rechtstreue, also Verbundenheit mit den rechtlich geschützten Werten. Für unter dem charakterlichen Niveau der Maßfigur liegende Chraktereigenschaften, welche den Affektdurchbruch herbeigeführt oder gefördert haben, haftet daher auch der geistig primitive Täter (JBl 1986, 261; Moos im WK Rz 31, 33 bis 36 zu § 76).
Ich habe es nicht selber gefunden, sondern nur auf den link in Lehofer Blog (http://blog.lehofer.at/2016/11/tips.html) geklickt. Immerhin habe ich selbst den zugehörigen Absatz gefunden!

PS: Lehofers oft gelobtes Blog gibt es kürzer als kortz.at!

Die Praktikantin
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Auch Nicht-Juristinnen müssen sich benehmen

Post by Die Praktikantin »

Die Einhaltung der Mindestanforderungen des Anstandes ist auch von einem rechtlich nicht geschulten Einschreiter zu verlangen, weil es für die Einhaltung dieser Mindestanforderungen keiner rechtlichen Kenntnisse bedarf.
So der LVwG NÖ am 15.03.2017 im Zusammenhang mit § 34 Abs. 3 AVG, also einer Ordnungsstrafe wegen beleidigender Schreibweise. Als Quelle wird VwGH vom 21.09.1988, 87/03/0237, 0238 angegeben.
Auch die Überzeugung, die Kritik sei berechtigt, vermag eine beleidigende Schreibweise nicht zu entschuldigten (VwGH 16.11.1993, 91/07/0084, 26.3.1996, 95/05/0029, 0030; 10.3.1998, 97/08/0110u.a.).
Jemanden wurden Tiere abgenommen, und die Person schrieb einen wüsten Brief, dass konkrete Amtstierärzte Verbrecher, Tierquäler, Tiermörder, korrupt und einer ein "„Drecksack“ mit und ohne weiteren Attributen" seien. Die Strafhöhe von 350€ hat das LVwG als angemessen bewertet.
B-VG Art 20 (1) Unter der Leitung der obersten Organe [...] führen [...] berufsmäßige Organe oder vertraglich bestellte Organe [...] die Verwaltung. Sie sind [...] soweit in Gesetzen gemäß Abs. 2 nicht anderes bestimmt ist, an [...] Weisungen gebunden.

http://dietagespresse.com/endlich-ruhes ... raktikant/

harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Eine Entscheidung, die für Arbeitnehmer nicht besonders begrüßenswert ist, da Altersversorgungsbeiträge auch zur Konkursmasse gehören:

EuGH vom 24.11.2016, RS C-454/15
Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ist dahin auszulegen, dass er nicht vorschreibt, dass bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die vom Lohn eines ehemaligen Arbeitnehmers einbehaltenen und in Altersversorgungsbeiträge umgewandelten Beträge, die der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers auf ein Versorgungskonto hätte einzahlen müssen, aus der Insolvenzmasse auszusondern sind.
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Aus dem Bereich UVP gibt's die Entscheidung des EuGH vom 17.11.2016, RS C-348/15 mit folgendem kryptischen Wortlaut:
Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er ein Vorhaben, das unter eine Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren fragliche fällt, nach der ein Vorhaben, das Gegenstand eines unter Verletzung der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ergangenen Bescheids war, in Bezug auf den die Frist für die Nichtigerklärung verstrichen ist, als rechtmäßig genehmigt gilt, nicht vom Geltungsbereich der Richtlinie ausnimmt. Das Unionsrecht steht einer solchen Rechtsvorschrift entgegen, wenn sie vorsieht, dass bei einem solchen Vorhaben eine vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung als durchgeführt gilt.
Wer kann mir sagen, was diese Entscheidung bedeutet?
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Nochmal EuGH, diesmal zum Thema Zahlungsdienste und "Mitteilen" oder "Zugänglichmachen" von Informationen und deren Dauerhaftigkeit:

Entscheidung vom 15.09.2016, RS C-375/15
Art. 41 Abs. 1 und Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG in der durch die Richtlinie 2009/111/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 geänderten Fassung sind in Verbindung mit Art. 4 Nr. 25 der Richtlinie dahin auszulegen, dass Änderungen der Informationen und Vertragsbedingungen im Sinne des Art. 42 der Richtlinie sowie Änderungen des Rahmenvertrags, die der Zahlungsdienstleister dem Zahlungsdienstnutzer über eine Mailbox auf einer E‑Banking-Website übermittelt, nur dann im Sinne dieser Bestimmungen auf einem dauerhaften Datenträger mitgeteilt werden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

– Die Website gestattet es dem Zahlungsdienstnutzer, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine angemessene Dauer einsehen kann und ihm die unveränderte Wiedergabe gespeicherter Informationen möglich ist, ohne dass ihr Inhalt durch den Zahlungsdienstleister oder einen Administrator einseitig geändert werden kann, und,

– sofern der Zahlungsdienstnutzer die Website besuchen muss, um von den betreffenden Informationen Kenntnis zu erlangen, geht mit ihrer Übermittlung einher, dass der Zahlungsdienstleister von sich aus tätig wird, um den Zahlungsdienstnutzer davon in Kenntnis zu setzen, dass die Informationen auf der Website vorhanden und verfügbar sind.

Falls der Zahlungsdienstnutzer eine solche Website besuchen muss, um von den betreffenden Informationen Kenntnis zu erlangen, werden sie ihm lediglich im Sinne von Art. 36 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2007/64 in der durch die Richtlinie 2009/111 geänderten Fassung zugänglich gemacht, wenn mit ihrer Übermittlung nicht einhergeht, dass der Zahlungsdienstleister in der genannten Weise von sich aus tätig wird.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ein Ausflug ins Vergaberecht:

Grenzüberschreitendes Interesse ist nicht gleichzusetzen mit der Entfernung zur Grenze. Ob da die Richter in Luxemburg an die Größe Österreichs dachten oder eher an das Land, wo sie sitzen? :twisted:

EuGH vom 06.10.2016, RS C-318/15
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Vorabentscheidungsanträge führen zu keiner Befangenheit, so der EuGH:

EuGH vom 05.07.2016, RS C-614/14
1. Die Art. 267 AEUV und 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sind im Licht von Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die so ausgelegt wird, dass sie das vorlegende Gericht verpflichtet, sich in der anhängigen Rechtssache wegen Befangenheit abzulehnen, weil es in seinem Vorabentscheidungsersuchen den Sachverhalt und den rechtlichen Rahmen dieser Rechtssache dargelegt hat.

2. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 267 AEUV, ist dahin auszulegen, dass es vom vorlegenden Gericht weder verlangt noch ihm untersagt, nach Verkündung des Urteils im Vorabentscheidungsverfahren eine nochmalige Anhörung der Beteiligten sowie eine erneute Beweisaufnahme vorzunehmen, die es dazu veranlassen können, die im Rahmen seines Vorabentscheidungsersuchens getroffenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen zu ändern, sofern es der Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union volle Wirksamkeit verschafft.

3. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es ein vorlegendes Gericht hindert, eine nationale Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die als mit dem Unionsrecht unvereinbar angesehen wird, anzuwenden.
Die Entscheidung ist bemerkenswert locker angesichts dessen, da sich der nationale Richter bei bestimmten Fragen schon ziemlich festlegen muss.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Fun Fact: Der "Rubik Cube" bzw. ein vergleichbares Produkt war Thema einer Markenentscheidung:

EuGH vom 10.11.2016, Rs C-30/15P
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Nichtigkeit eines KFZ Haftpflichtversicherungsvertrages kann einem Dritten nicht entgegen gehalten werden:

EuGH vom 20.07.2017, RS C-287/16
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht und Art. 2 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die bewirken würde, dass geschädigten Dritten unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Nichtigkeit eines Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherungsvertrags entgegengehalten werden kann, die aufgrund falscher anfänglicher Angaben des Versicherungsnehmers über die Identität des Eigentümers und des gewöhnlichen Fahrers des betreffenden Fahrzeugs oder aufgrund des Umstands, dass die Person, für die oder in deren Namen der Versicherungsvertrag abgeschlossen wird, kein wirtschaftliches Interesse am Abschluss dieses Vertrags hatte, eintritt.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Was das fliegen betrifft, versucht der EuGH die Transparenz der Steuern und Gebühren zu heben und gleichzeitig ist er gegen versteckte Bearbeitungsentgelte:

EuGH vom 06.07.2017, RS C-290/16
1. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft ist dahin auszulegen, dass Luftfahrtunternehmen die von den Kunden für die Steuern, die Flughafengebühren und die sonstigen Gebühren, Zuschläge und Entgelte im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Buchst. b bis d dieser Verordnung geschuldeten Beträge bei der Veröffentlichung ihrer Flugpreise gesondert ausweisen müssen und sie daher nicht – auch nicht teilweise – in den Flugpreis gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Buchst. a der Verordnung einbeziehen dürfen.

2. Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass die Anwendung einer nationalen Regelung zur Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen zur Nichtigerklärung einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen führen kann, nach der von Kunden, die einen Flug nicht angetreten oder storniert haben, gesonderte pauschalierte Bearbeitungsentgelte erhoben werden können.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Die Kommission hat die Registrierung der Bürgerinitiative "Stop TTIP" verweigert. Zu Unrecht, sagt der EuGH:

EuGH vom 10.05.2017, RS T-754/14
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Bei der Bürgerinitiative "Minority SafePack" (Minderheitenschutz) hat die Kommission die Ablehnung der Registrierung nicht ordentlich begründet.

EuGH vom 03.02.2017, RS T-646/13
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Auch wenn ein Reisevermittler zwischen Fluglinie und Fluggast steht, soll die Fluglinie direkt mit dem Fluggast reden, sonst zahlt er. Zu diesem Ergebnis kommt der EuGH:

EuGH vom 11.05.2017, RS C-302/16
Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausgleich im Fall einer Flugannullierung, über die der Fluggast nicht mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet worden ist, auch dann zu zahlen hat, wenn das Luftfahrtunternehmen den Reisevermittler, über den der Beförderungsvertrag mit dem betroffenen Fluggast geschlossen wurde, mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung unterrichtet hat und der Fluggast vom Reisevermittler nicht innerhalb dieser Frist informiert worden ist.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und wieder Fluggastrechte: Vogelschlag ist ein außergewöhnlicher Umstand, soweit die Fluglinie alle Präventionsmaßnahmen ergriffen hat. Nicht jedoch andere Gründe. Beim Zusammentreffen mehrere Gründe, ist die Verspätungszeit die sich aus dem Vogelschlag ergeben hat, herauszurechnen. Viel Vergnügen wünsch ich dem nationalen Richter! :doh

EuGH vom 04.05.2017, RS C-315/15
1. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist im Licht des 14. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.

2. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist im Licht des 14. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass die Annullierung bzw. große Verspätung eines Fluges nicht auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, wenn sie darauf beruht, dass ein Luftfahrtunternehmen auf einen Fachmann seiner Wahl zurückgreift, um die aufgrund einer Kollision mit einem Vogel erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen erneut vornehmen zu lassen, nachdem diese bereits von einem nach den einschlägigen Vorschriften autorisierten Fachmann vorgenommen wurden.

3. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist im Licht des 14. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass die „zumutbaren Maßnahmen“, die ein Luftfahrtunternehmen ergreifen muss, um die Risiken einer Kollision mit einem Vogel zu verringern oder gar zu beseitigen und sich somit von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste gemäß Art. 7 dieser Verordnung zu befreien, präventiv-kontrollierende Maßnahmen gegen das Vorhandensein von Vögeln umfassen, vorausgesetzt, dass solche Maßnahmen insbesondere auf technischer und administrativer Ebene von diesem Luftfahrtunternehmen tatsächlich ergriffen werden können, diese Maßnahmen ihm im Hinblick auf seine Kapazitäten keine untragbaren Opfer abverlangen und das Unternehmen nachgewiesen hat, dass es die Maßnahmen in Bezug auf den von der Kollision mit einem Vogel betroffenen Flug tatsächlich ergriffen hat; die Erfüllung dieser Voraussetzungen zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

4. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist im Licht des 14. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass im Fall einer um drei Stunden oder mehr verspäteten Flugankunft, die nicht nur auf einem außergewöhnlichen Umstand beruht, der nicht durch der Situation angemessene Maßnahmen zu verhindern war und gegen dessen Folgen das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen hat, sondern auch auf einem anderen Umstand, der nicht in diese Kategorie fällt, die auf dem erstgenannten Umstand beruhende Verspätung von der gesamten Verspätungszeit bei Ankunft des betreffenden Fluges abzuziehen ist, um zu beurteilen, ob für diese verspätete Flugankunft Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 dieser Verordnung zu leisten sind.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Verkürzte Garantiefrist (von 2 auf 1 Jahr) daran gekoppelt eine somit auch verkürzte !Verjährungsfrist! war Thema der EuGH Entscheidung vom 13.07.2017, RS C-133/16:
Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die es erlaubt, dass die Verjährungsfrist für die Klage eines Verbrauchers eine kürzere Dauer als zwei Jahre ab Lieferung des Gutes beträgt, wenn dieser Mitgliedstaat von der in der zweiten dieser Bestimmungen der Richtlinie eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, und wenn der Verkäufer und der Verbraucher für das betreffende gebrauchte Gut eine Haftungsfrist des Verkäufers vereinbart haben, die kürzer als zwei Jahre, nämlich ein Jahr, ist.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Das Landesverwaltungsgericht in OÖ hat unterstellt, das Amtswegigkeitsprinzip könnte doch nur ein Synonym für das Inquisitionsprinzip sein.

Die Antwort des EuGH kam schnell:

EuGH vom 14.06.2017, RS C‑685/15:
Die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, sind im Licht des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsstrafverfahren das Gericht, das darüber zu entscheiden hat, ob eine die Ausübung einer Grundfreiheit der Europäischen Union wie der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union beschränkende Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist, bei der Prüfung des Vorliegens von Verwaltungsübertretungen die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht prüfen kann, ob die Beschränkung gerechtfertigt ist.
Wie das umzusetzen ist, frag ich mich. Am besten auf Anwesenheit der Behörde in der VH setzen, aber wie läuft das ohne VH?
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Sex ist doch alles und zwar in jedem Alter! :n3: :tw :n65:
25.07.2017, Beschwerde Nr 17484/15, Carvalho Pinto de Sousa Morais / Portugal
Verletzung von Art 14 (Diskriminierungsverbot) iVm Art 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens); kon-ventionswidrige Minderung der Schadenersatzsumme für die Bf, die infolge eines medizinischen Behandlungsfehlers ua Probleme bei der Ausübung ihres Sexuallebens hat; unzulässige Begründung, dass Ausübung des Sexuallebens für 50-jährige Bf nicht mehr von so großer Bedeutung sei wie für jüngere Personen; Diskriminierung aufgrund des Alters
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Eine wichtige Klarstellung des VwGH zu seiner Stellung im Vergaberecht:

23. November, Ra 2016/04/0021:
Der Österreichische Rundfunk (ORF) ist öffentlicher Auftraggeber; Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unterliegen als vergebende Stellen der Auskunftspflicht.
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ein wenig mystisch bleibt weiterhin die Doppelbestrafungsverbotsjudikatur des EGMR, diesmal geht es darum, in welcher zeitlichen Nähe die mehreren Verfahren geführt werden müssen:

Entscheidung vom 18.05.2017, 22.007/11, Johannesson ua:
Ein Verfahren betreffend einen Steuerzuschlag wegen falscher Steuererklärungen betrifft eine strafrechtliche Anklage. Im gegenständlichen Fall bezog sich dieses Verfahren sowie ein weiteres Strafverfahren auf dieselben bzw die im Wesentlichen selben Tatsachen. Die Reaktion auf ein Fehlverhalten sowohl durch ein Strafverfahren wie auch durch ein Verwaltungsverfahren wird durch Art 4 nicht ausgeschlossen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Damit nicht eine Verdoppelung des Strafverfahrens vorliegt, müssen diese beiden Verfahren in einem ausreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, oder anders gesagt sie müssen so verbunden sein, dass sie ein kohärentes Ganzes darstellen. Im gegenständlichen Fall waren diese Voraussetzung durch das Verfahren über die Steuererhöhung und das anschließende Strafverfahren nicht erfüllt: Die Verfahren dauerten zusammen mehr als neun Jahre, wurden aber nur während eines Zeitraums von etwas mehr als einem Jahr parallel geführt. Die strafrechtliche Anklage war erst mehr als m15 Monate nach der verwaltungsbehördlichen Entscheidung erhoben worden. Außerdem wurden in den beiden Verfahren unabhängig voneinander die Beweise aufgenommen und gewürdigt, wobei die Polizei im Strafverfahre ihre eigenen Ermittlungen getätigt hat. Die Verantwortlichkeit der Betroffenen wurde somit von unterschiedlichen Behörden in Verfahren festgestellt, die voneinander weitgehend unabhängig waren. Daher hat die Durchführung der beiden Verfahren gegen die Betroffenen diese in ihren Rechten nach Art 4 verletzt.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und mal wieder Fluggastrechte:

Bei Entschädigungen kommt es nicht auf die zurückgelegte Entfernung bei mehreren Umstiegen zwischen denselbigen, sondern auf die Entfernung nach der Großkreismethode zwischen Erstabflughafen und Endziel an.

EuGH vom 07.09.2017, RS C‑559/16
Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Entfernung“ im Fall von Flugverbindungen mit Anschlussflügen nur die Entfernung zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel umfasst, die nach der Großkreismethode zu ermitteln ist, unabhängig von der tatsächlich zurückgelegten Flugstrecke.
Wer sich nun fragt, was die Großkreismethode ist, hier eine Erklärung:
Die gesetzliche Berechnung der Entfernung des Abflughafens zum Zielflughafen nach der Großkreisentfernung berechnet sich durch die kürzeste Strecke entlang der Erdoberfläche (Orthodrome). Danach entspricht bei einem angenommenen Erdumfang von 40.000 km eine Bogenminute einer Seemeile. Daher sind die unterschiedlichen Berechnungsmethoden und -werte von besonderer Bedeutung, da nicht einfach die Luftlinie als Berechnungsgrundlage der Entschädigungszahlung herangezogen werden kann.
Quelle: http://www.webverzeichnis-webkatalog.de ... 26172.html
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und diesmal hat die Kommission die Ablehnung der Bürgerinitiative als korrekt vom EuGH bestätigt bekommen, wobei auch hier das Wording in RZ 10 im ersten Moment verwundert.

EuGH vom 12.09.2017, RS C‑589/15 P
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und bei einer Besteuerungsfrage betreffend Bank Austria hat Österreich mal gegen Deutschland gewonnen, was auch finanziell einträglich ist:

EuGH vom 12.09.2017, RS C‑648/15
1. Der in Art. 11 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 24. August 2000 verwendete Begriff „Forderungen mit Gewinnbeteiligung“ ist dahin auszulegen, dass er Wertpapiere wie die im vorliegenden Fall in Rede stehenden nicht umfasst.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Nicht nur das Ergebnis - man kann beim Angefahren-Werden vom eigenen Auto versichert sein - auch der Werdegang (RZ13ff) dieser Entscheidung ist spannend:

EuGH vom 14.09.2017, RS C‑503/16
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 geänderten Fassung und Art. 1a der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der durch die Richtlinie 2005/14 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, mit der die Deckung und somit die Entschädigung durch die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung für Personen- und Sachschäden, die ein Fußgänger, der Opfer eines Straßenverkehrsunfalls war, erlitten hat, allein deshalb ausgeschlossen wird, weil dieser Fußgänger Versicherungsnehmer und Eigentümer des Fahrzeugs war, das diese Schäden verursacht hat.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Spannend ist diese EGMR Entscheidung wegen dem Verhältnis ungarisches Recht - Kirchenrecht:

14.09.2017, Beschwerde Nr 56665/09, Károly Nagy / Hungary (GK)
Unanwendbarkeit von Art 6 EMRK (Recht auf Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht); kein Schadenersatzanspruch des Bf, einem Pfarrer, nach seiner Entlassung durch die ungarische Reformierte Kirche, da dieser nach kirchlichem Recht beschäftigt war; Nichtvorliegen eines dahingehenden „Rechts“ nach der ungarischen Rechtsordnung
Quelle Zusammenfassung: JKU Newsletter
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

harald wrote:
26 Sep 2017, 15:03
Und diesmal hat die Kommission die Ablehnung der Bürgerinitiative als korrekt vom EuGH bestätigt bekommen, wobei auch hier das Wording in RZ 10 im ersten Moment verwundert.

EuGH vom 12.09.2017, RS C‑589/15 P
Vielleicht sollte ich ergänzen, dass die Bürgerinitiative den Fall Griechenland vor Auge hatte und Folgendes forderte:
Festschreibung des Prinzips der „Notlage“. Wenn die finanzielle und politische Existenz eines Staates in Gefahr gerät, weil dieser versucht einer verabscheuungswürdigen Schuld nachzukommen (explodierende Arbeitslosenzahlen; Kollaps von Löhnen und Renten; Schließung von Krankenhäusern und Schulden, ebenso wie Sozialleistungen; individuelle Verelendung; etc.), so wird die Zurückweisung der Zahlung notwendig und gerechtfertigt.
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kein Beweisverwertungsverbot

Post by harald »

EuGH RS C-73/16 vom 27.09.2017

Der EuGH dürfte wieder vom früher angeschnittenen Thema "Beweisverwertungsverbot" abrücken, zumindest solange es nicht vom nationalen Recht her schon verankert ist. (siehe Spruchpunkt 2.)
1. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Ausübung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs durch eine Person, die eine Beeinträchtigung ihres mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr gewährleisteten Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten rügt, davon abhängig macht, dass zuvor die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe bei den nationalen Verwaltungsbehörden ausgeschöpft worden sind. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die konkreten Modalitäten für die Ausübung dieser Rechtsbehelfe das in dieser Vorschrift niedergelegte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen. Die vorherige Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe bei den nationalen Verwaltungsbehörden darf insbesondere keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirken, muss die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmen und darf keine übermäßigen Kosten mit sich bringen.

2. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht eine Liste wie die streitige Liste, die von der betroffenen Person vorgelegt wird und die personenbezogene Daten von ihr enthält, als Beweismittel für eine Verletzung des mit der Richtlinie 95/46 gewährten Schutzes der personenbezogenen Daten in dem Fall zurückweist, dass die betroffene Person diese Liste ohne die gesetzlich vorgeschriebene Einwilligung des für die Verarbeitung dieser Daten Verantwortlichen erlangt hat, es sei denn, dass eine solche Zurückweisung im nationalen Recht vorgesehen ist und sowohl den Wesensgehalt des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf als auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet.

3. Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 ist dahin auszulegen, dass er einer Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Behörden eines Mitgliedstaats für Steuererhebungszwecke und zur Bekämpfung von Steuerbetrug, wie sie mit der Erstellung einer Liste von Personen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ohne die Einwilligung der betroffenen Personen vorgenommen wird, nicht entgegensteht, sofern zum einen den betreffenden Behörden durch das nationale Recht im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben im Sinne dieser Vorschrift übertragen wurden, die Erstellung dieser Liste und die Aufnahme der Namen der betroffenen Personen in diese zur Verwirklichung der verfolgten Ziele tatsächlich geeignet und erforderlich sind und hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betroffenen Personen zu Recht auf dieser Liste geführt werden, und zum anderen sämtliche in der Richtlinie 95/46 aufgestellten Bedingungen für die Rechtmäßigkeit der betreffenden Verarbeitung personenbezogener Daten erfüllt sind.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Steueroasen sind ja immer wieder ein Thema in der EU, daneben gibt es aber auch noch das Themenfeld des Steuerbetrugs, in der EU insbesondere die Mehrwertsteuer betreffend. Diesbezüglich hat er sich nunmehr zu kurzen Verjährungsfristen geäußert:

EuGH C-42/17, 05.12.2017
Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV ist dahin auszulegen, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind, im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Mehrwertsteuerstraftaten innerstaatliche Verjährungsvorschriften, die zum nationalen materiellen Recht gehören und der Verhängung wirksamer und abschreckender strafrechtlicher Sanktionen in einer beträchtlichen Anzahl von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichteten schweren Betrugsfällen entgegenstehen oder für schwere Betrugsfälle zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union kürzere Verjährungsfristen vorsehen als für Fälle zum Nachteil der finanziellen Interessen des betreffenden Mitgliedstaats, unangewendet zu lassen, es sei denn, ihre Nichtanwendung führt wegen mangelnder Bestimmtheit der anwendbaren Rechtsnorm oder wegen der rückwirkenden Anwendung von Rechtsvorschriften, die strengere Strafbarkeitsbedingungen aufstellen als die zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat geltenden Rechtsvorschriften, zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ein Fall Österreich und die mangelnde Umsetzung der Aarhus Konvention betreffend:

EuGH RS C-664/15 vom 20.12.2017
1. Art. 9 Abs. 3 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten, mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass ein Bescheid, mit dem ein möglicherweise gegen die Verpflichtung aus Art. 4 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, eine Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper zu verhindern, verstoßendes Vorhaben gebilligt wird, von einer nach den Voraussetzungen des nationalen Rechts ordnungsgemäß gegründeten und tätigen Umweltorganisation vor einem Gericht angefochten werden können muss.

2. Art. 9 Abs. 3 des mit dem Beschluss 2005/370 genehmigten Übereinkommens in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte sowie Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60 sind dahin auszulegen, dass nationales Verfahrensrecht, das in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens Umweltorganisationen nicht das Recht zuerkennt, sich an einem Bewilligungsverfahren zur Umsetzung der Richtlinie 2000/60 als Partei zu beteiligen, und das Recht, Entscheidungen, die im Rahmen des Bewilligungsverfahrens ergehen, anzufechten, nur Personen, die im Verwaltungsverfahren die Stellung als Partei hatten, zuerkennt, nicht mit diesen Bestimmungen vereinbar ist.

3. Unter dem Vorbehalt der Überprüfung der relevanten tatsächlichen Umstände und des einschlägigen nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht ist Art. 9 Abs. 3 und 4 des mit dem Beschluss 2005/370 genehmigten Übereinkommens in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass mit diesen Bestimmungen nicht vereinbar ist, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens für eine Umweltorganisation nach den nationalen Verfahrensvorschriften eine Ausschlussregelung gilt, nach der eine Person ihre Stellung als Partei im Verwaltungsverfahren verliert und deshalb keine Beschwerde gegen eine in diesem Verfahren ergangene Entscheidung erheben kann, wenn sie Einwendungen nicht rechtzeitig bereits im Verwaltungsverfahren, spätestens in dessen mündlichem Abschnitt, erhoben hat.
Wenn Österreich in Kombi mit dem EuGH so weiter macht, ist das Rechtsinstitut der Präklusion bei Umweltverfahren bald nicht mehr existent. :doh
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Puh, bei dieser Entscheidung müssen sich Übernehmer der ehemaligen Air Berlin wie Lufthansa, Easy Jet, ... vielleicht warm anziehen, da ein Betriebsübergang in der Luft liegen könnte:

EuGH Rs C-200/16 vom 19.10.2017
1. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass ein Fall, in dem ein Auftraggeber einen Vertrag mit einem Unternehmen zur Erbringung von Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungen in seinen Anlagen gekündigt und anschließend für die Ausführung dieser Dienstleistung einen neuen Vertrag mit einem anderen Unternehmen geschlossen hat, das eine Übernahme der Arbeitnehmer des ersten Unternehmens ablehnt, dann unter den Begriff „Übergang von Unternehmen [oder] Betrieben“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie fällt, wenn die für die Ausführung dieser Dienstleistung unabdingbare Ausrüstung vom zweiten Unternehmen übernommen wurde.

2. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der der Verlust eines Kunden seitens eines Wirtschaftsteilnehmers mit der Vergabe der Dienstleistung an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer nicht unter den Begriff „Übergang von Unternehmen [oder] Betrieben“ im Sinne dieses Art. 1 Abs. 1 fällt.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

In der Entscheidung des EuGH vom 09.11.2017, C- 298/16, wird ein rechtsstaatlicher Grundsatz judiziert, dessen Wiederholung sicher nicht schaden kann:
Der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte ist dahin auszulegen, dass es in Verwaltungsverfahren zur Überprüfung und Festlegung der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer dem Einzelnen möglich sein muss, auf Antrag Zugang zu den Informationen und Dokumenten zu erhalten, die in der Verwaltungsakte enthalten sind und die von der Behörde für den Erlass ihrer Entscheidung berücksichtigt werden, es sei denn, eine Beschränkung des Zugangs zu diesen Informationen und Dokumenten ist durch dem Gemeinwohl dienende Ziele gerechtfertigt.
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Gefahren des täglichen Lebens laut OGH

Post by dejost »

Im Kurier erschien ein Artikel, in dem Judikate des Obersten Gerichtshof zu Haushaltsversicherungen zusammengefasst wurden.

Es geht um die Frage, was sind (noch) Gefahren des täglichen Lebens, die von den Haushaltsversicherungen (wenn diese umfasst sind) gedeckt werden müssen:
https://kurier.at/chronik/oesterreich/h ... /400070993

Vorneweg ist festzuhalten, dass der Artikel sehr kurz ist und überhaupt keine Quellen angibt, teilweise kann man damit nicht mal was anfangen, weil es so verkürzt ist.
Obwohl ich nur ein Hobby-Blogger bin und kein bezahlter Journalist wie Ricardo Peyerl, habe ich zumindest einige der Judikate gesucht und sogar ein paar zusätzliche Beispiele gefunden.

Gefahren des täglichen Lebens sind Ausrutscher eines Durchschnittsmenschen mit unbeabsichtigten Folgen.
In den Worten des OGH (RS0081070):
Für das Vorliegen einer "Gefahr des täglichen Lebens" ist nicht erforderlich, dass solche Gefahren geradezu täglich auftreten; vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Verhaltens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nehmen. Voraussetzung für einen aus einer Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist nämlich immer eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers.
Für die von der Haftpflichtversicherung erfaßten Risiken ist es geradezu typisch, daß ihnen eine leichte oder sogar grobe Fahrlässigkeit zugrundeliegt.
Folgende Schadensfälle fallen darunter:
- Sohn eines Versicherungsnehmers schüttete auf den im Garten zum Verbrennen aufgeschichteten Reisighaufen Benzin, eine Stichflamme führte zu Verbrennungen beim daneben stehenden sechsjährigen Nachbarssohn (grobe Fahrlässigkeit kann auch abgedeckt sein, was hier wohl vorliegt)
- einer zieht dem anderen "gedankenlos" den Sessel weg, der stürzt und verletzt sich (mit "gedankenlos" ist wohl gemeint, dass er nicht gemerkt, dass wer anderer den Sessel braucht, sonst wären wir ja schon beim Vorsatz)
-bei einem privaten Motorradrennen einem anderen Teilnehmer auffahren (lt Kurier, ev OGH 25.01.2017 7 Ob 192/16k)

Nicht darunter fällt:
- Wasserbombenschlacht mit Kollateralschaden (lt Kurier. Ist wahrscheinlich 7Ob13/18i, wo der OGH das Vorliegen einer wesentlichen Rechtsfrage verneint hat und nur kurz festhält, dass eine 3-Mann-Wasserbombenschleuder offenkundig gefährlich ist)
- Ehefrau hat psychotischen Schub und sticht jemanden nieder (wenig überraschend, laut Kurier)
- Raufhandel in Disco, bei der unbeteiligte Dritte verletzt wird ( OGH 26.02.2014 7 Ob 245/13z )

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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by dejost »

Selbstschutz des Staates wirft ein paar interessante Fragen zur Unabhängigkeit der Justiz auf, aber von dieser Vorfrage abgesehen ist die Entscheidung völlig schlüssig:
Wenn jemand durch eine Geisteshaltung, die sich bereits in einem außenwirksamen Handeln dokumentiert hat, die Legitimation des Staates und seiner Einrich-
tungen abstreitet und erklärtermaßen die bundes- oder landesgesetzlichen Bestimmungen nicht zur Gänze für sich als verbindlich anerkennt, gibt er dadurch Anlass zur Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes und seiner Durchführungsverordnungen nicht strikt befolgt. Damit ist aber nicht gewährleistet, dass er von Waffen keinen missbräuchlichen oder leichtfertigen Gebrauch machen wird. Die vom Waffengesetz geforderte Verlässlichkeit des Beschwerdeführers nach § 8 WaffG ist sohin im ggst Fall nicht gewährleistet.
LVwG Tirol LVwG 2017/12/1997 6

Im Detail:
Begründend wurde angegeben, dass der Beschwerdeführer aktives Mitglied einer staatsfeindlichen Verbindung bzw souveränen Bewegung, konkret des „One People Public Trust“ (OPPT)
,sei und sich als solches nicht an die staatliche Hoheitsgewalt und die gesetzlichen Bestimmungen gebunden fühle. Die Mitgliedschaft in einer souveränen Bewegung verbunden mit der Gutheißung deren Ziele und aktiver Betätigung durch nach außen beurkundete Verweigerung der Anerkennung der staatlichen Hoheitsgewalt und Rechtsordnung sei nach Ansicht der belangten Behörde eine Tatsache, die die Verlässlichkeit nach § 8 WaffG ausschließen würde
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und darin im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erstbehörde in dem angefochtenen Bescheid keine Feststellungen dahingehend treffe, welche Verhaltensweisen der Beschwerdeführer an den Tag gelegt habe, die auf einen Missbrauch mit Waffen oder eine leichtfertige Verwendung oder derartiges schließen lasse, noch seien derartige Sachverhaltselemente aus dem Verwaltungsakt erkennbar. Er sei ein äußerst friedfertiger Mensch, der lediglich die Behörde gebeten habe, ihn nicht in seiner Privatsphäre zu stören. Eine derartige Bitte könne kein Indikator dafür sein, dass er eine Waffe missbräuchlich oder leichtfertig verwenden würde. Den Unterlagen der Behörde nach werde gegen ihn auch kein entsprechendes Strafverfahren geführt, eingegen andere Personen geführtes Strafverfahren könne kein Indikator für eine missbräuchliche oder leichtfertige Verwendung durch den Beschwerdeführer sein.
Mit Eingabe vom 02.10.2017 legte der Beschwerdeführer ein „Bekenntnis zur freien demokratischen Grundordnung (Loyalitätserklärung)“ ab und führte jene Teile der Bundesverfassung und Gesetze an, die er insbesondere anerkenne. Weiters versicherte er, keine nationalsozialistischen Gesetze, Verordnungen und solches Gedankengut in seiner täglichen Arbeit und Freizeit anzuwenden und beurkundete öffentlich seine Entnazifizierung.
Trotzdem hat er sich selbst als immun erklärt und Zigtausende Fantasieforderungen an die zuständigen Sachbearbeiter anlässlich einer Verkehrsstrafe gestellt.
Anlässlich der mündlichen Verhandlung hat sich der Beschwerdeführer damit verantwortet, dass er vor 14 bis 15 Monaten Veranstaltungen des „Staatenbundes“ besucht habe, sich als „Mensch“
irgendwo angemeldet habe und die Strafverfügung – wie es ihm bei einer solchen Veranstaltung erklärt worden sei, an eine –ihm jetzt nicht mehr bekannte –Adresse in der X geschickt habe. Der Inhalt der Schreiben, wie sie an die Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft geschickt worden sind, sei ihm nicht bekannt gewesen. Er habe nicht gewusst, wie das in der X gehandhabt worden ist.
Das Gericht hat das nicht überzeugt
Soweit der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol behauptet hat, nichts mehr mit solchen „Sachen“ zu tun zu haben, konnte der Beschwerdeführer damit nicht überzeugen, geht doch beispielsweise aus seiner in der Verhandlung getätigten Äußerung, die Polizei sei eine Firma, hervor, dass sich der Beschwerdeführer –trotz gegenteiliger Behauptung–nach wie vor nicht ausreichend vom Gedankengut der souveränen Bewegung distanziert hat

harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Diese Entscheidung macht die eigene Entscheidung wieder schwieriger, ob man direkt bei einer Airline die Leistung kauft oder sich diese über eine Reisebüro vermitteln lässt. Wenn sich nämlich eine Airline weigert, die Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechte VO zu zahlen, dann muss man ohne direkten Vertrag am Sitz der Airline klagen, da keine Verbrauchersache vorliegt.

:doh :tw

C-215/18 vom 26.03.2020
1. Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein Fluggast eines um mindestens drei Stunden verspäteten Fluges gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen eine Klage auf Ausgleichszahlung nach den Art. 6 und 7 dieser Verordnung erheben kann, selbst wenn zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen kein Vertrag geschlossen wurde und der fragliche Flug Bestandteil einer Pauschalreise im Sinne der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen ist.
2. Art. 5 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine nach der Verordnung Nr. 261/2004 von einem Fluggast gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen erhobene Klage auf Ausgleichsleistung unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, selbst wenn zwischen diesen Parteien kein Vertrag geschlossen wurde und der vom Luftfahrtunternehmen durchgeführte Flug in einem mit einem Dritten geschlossenen Pauschalreisevertrag, der auch eine Unterbringung einschloss, vorgesehen war.
3. Die Art. 15 bis 17 der Verordnung Nr. 44/2001 sind dahin auszulegen, dass eine von einem Fluggast gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, erhobene Klage auf Ausgleichsleistung nicht in den Anwendungsbereich dieser Artikel fällt, die die besondere Zuständigkeit bei Verbrauchersachen betreffen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4411617
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und gleich nochmal Fluggastrechte:

Wer das Pech hat, dass der Flug verschoben wird und der Ersatzflug dann nochmals, hat 2x Anrecht auf eine Ausgleichszahlung.

C-832/18 vom 12.03.2020
1. Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 und insbesondere ihr Art. 7 Abs. 1 sind dahin auszulegen, dass ein Fluggast, der wegen der Annullierung eines Fluges eine Ausgleichszahlung erlangt hat und den ihm angebotenen Alternativflug akzeptiert hat, Anspruch auf eine Ausgleichszahlung wegen Verspätung des Alternativflugs hat, wenn diese Verspätung eine Anzahl von Stunden beträgt, die zu einer Ausgleichszahlung berechtigt, und das den Alternativflug ausführende Luftfahrtunternehmen dasselbe ist wie das des annullierten Fluges.
2. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass sich ein Luftfahrtunternehmen für die Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen nicht auf „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung berufen kann, die mit dem Defekt eines sogenannten „On condition“-Teils zusammenhängen, d. h. eines Teils, das nur wegen Defekts des früheren Teils ausgetauscht wird, auch wenn er ständig ein Ersatzteil vorrätig hält, sofern nicht der Fall vorliegt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, dass ein solcher Mangel ein Vorkommnis darstellt, das seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist, wobei jedoch gilt, dass dieser Mangel, sofern er grundsätzlich untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden bleibt, nicht als ein solches Vorkommnis anzusehen ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4413337
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Hier konnte der EuGH dem Bröckeln des Rechtsstaates nicht entgegen wirken, da die Vorlagefragen unzulässig waren. Es geht um Polen:

C-558/18 vom 26.03.2020
Die vom Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz, Polen) und vom Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen) mit Entscheidungen vom 31. August 2018 und 4. September 2018 eingereichten Vorabentscheidungsersuchen sind unzulässig.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4418205
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Sollte mal jemand aus unserer Runde längere Zeit im Ausland arbeiten, da gibt es derzeit einige Entscheidungen, die von Relevanz sein könnten. Hier mal einer zu vorzeitiger Altersrente und Berücksichtigung von ausländischen Renten.

C‑398/18 vom 05.12.2019
Art. 5 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der als Voraussetzung für den Anspruch eines Arbeitnehmers auf eine vorzeitige Altersrente der Betrag der zu beziehenden Rente die Mindestrente übersteigen muss, die der Arbeitnehmer nach dieser Regelung bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters erhalten würde, wobei unter der „zu beziehenden Rente“ nur die von diesem Mitgliedstaat zu zahlende Rente zu verstehen ist, nicht aber eine Rente, die dieser Arbeitnehmer aufgrund einer gleichartigen Leistung möglicherweise von einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten bezieht.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4452253
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Zwangshaft gegen Amtsträger, die Luftaqualitätsrichtline nicht ausreichend umsetzen, ist nur in engen Grenzen möglich, vor allem braucht es eine innerstaatliche Norm!

EuGH als Binnemarktmotor kommt mir da gerade als Schlagwort in den Sinn. Es ist eine zweifelhafte Unterstützung der Umweltregelungen. Umgekehrt aber in Hinblick auf Determinierung von Haftstrafen ein äußerst begrüßenswertes Ergebnis!

:old

C-752/18 vom 19.12.2019
Das Unionsrecht, insbesondere Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ist dahin auszulegen, dass unter Umständen, die durch die beharrliche Weigerung einer nationalen Behörde gekennzeichnet sind, einer gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, mit der ihr aufgegeben wird, eine klare, genaue und unbedingte Verpflichtung zu erfüllen, die sich aus dem Unionsrecht, etwa aus der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa, ergibt, das zuständige nationale Gericht Zwangshaft gegen Amtsträger der Behörde zu verhängen hat, wenn es in den Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts eine hinreichend zugängliche, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbare Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Zwangsmaßnahme gibt und wenn die damit verbundene Einschränkung des durch Art. 6 der Charta der Grundrechte garantierten Rechts auf Freiheit den übrigen insoweit in ihrem Art. 52 Abs. 1 aufgestellten Voraussetzungen genügt. Fehlt im innerstaatlichen Recht hingegen eine solche Rechtsgrundlage, ermächtigt das Unionsrecht das nationale Gericht nicht, auf eine derartige Maßnahme zurückzugreifen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4452913
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Sollte sich jemand fragen, warum es so viele Entscheidungen zu Fluglinien gibt: sie zögern gerne Zahlungen raus, bis es nicht mehr anders geht als zu klagen.

Dadurch kommt es auch immer wieder zu Nonanet Urteilen, wie diesem hier:

C-532/18 vom 19.12.2019
Art. 17 Abs. 1 des am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossenen Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichnet und mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 in ihrem Namen genehmigt wurde, ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Unfall“ im Sinne dieser Bestimmung jeden an Bord eines Luftfahrzeugs vorfallenden Sachverhalt erfasst, in dem ein bei der Fluggastbetreuung eingesetzter Gegenstand eine körperliche Verletzung eines Reisenden verursacht hat, ohne dass ermittelt werden müsste, ob der Sachverhalt auf ein luftfahrtspezifisches Risiko zurückgeht.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4455700
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

AirBNB ist als Vermittlungsdienst ein Dienst der Informationsgesellschaft (und braucht damit keinen Gewerbeschein als Grundstücksmakler, auch wenn zusätzliche Dienste angeboten werden).

C-390/18 vom 19.12.2019
1. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), der auf Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft verweist, ist dahin auszulegen, dass ein Vermittlungsdienst, der darin besteht, über eine elektronische Plattform gegen Entgelt eine Geschäftsbeziehung zwischen potenziellen Mietern und gewerblichen oder nicht gewerblichen Vermietern, die kurzfristige Beherbergungsleistungen anbieten, anzubahnen, und gleichzeitig auch einige Zusatzdienstleistungen zu diesem Vermittlungsdienst zur Verfügung zu stellen, als „Dienst der Informationsgesellschaft“ einzustufen ist, der unter die Richtlinie 2000/31 fällt.
2. Art. 3 Abs. 4 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2000/31 ist dahin auszulegen, dass sich ein Einzelner dagegen wehren kann, dass ein Mitgliedstaat gegen ihn im Rahmen eines Strafverfahrens mit Bestellung als Zivilpartei Maßnahmen anwendet, mit denen der freie Verkehr eines Dienstes der Informationsgesellschaft, den er von einem anderen Mitgliedstaat aus anbietet, beschränkt wird, wenn die Maßnahmen nicht entsprechend dieser Bestimmung mitgeteilt wurden.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4456449
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Dienstverhältnisse für Piloten dürfen grundsätzlich mit dem 60. Lebensjahr automatisch enden:

C-396/18 vom 07.11.2019
Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis von Piloten, die bei einem Unternehmen beschäftigt sind, das Luftfahrzeuge für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Schutz der nationalen Sicherheit eines Mitgliedstaats betreibt, mit Vollendung des 60. Lebensjahrs automatisch endet, sofern diese Regelung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung erforderlich ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis von Piloten, die bei einem Unternehmen beschäftigt sind, das Luftfahrzeuge für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Schutz der nationalen Sicherheit eines Mitgliedstaats betreibt, mit Vollendung des 60. Lebensjahrs automatisch endet, sofern diese Regelung angemessen im Sinne dieser Bestimmung ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4601019
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Und hier mal wieder ein Beleg, dass Dienstverhältnisse an einer Universität regelmäßig wiederkehrend zu den prekären zählen:

C-274/18 vom 03.10.2019
1. Paragraf 4 Nr. 1 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die befristet beschäftigten Arbeitnehmer, für die sie gilt, bei Teilzeitbeschäftigung eine längere maximal zulässige Dauer von Arbeitsverhältnissen festlegt als bei einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung, entgegensteht, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt und steht in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Gründen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit ist dahin auszulegen, dass der Pro-rata-temporis-Grundsatz gemäß dieser Bestimmung bei einer solchen Regelung nicht zum Tragen kommt.
2. Die Bestimmung des Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die befristet beschäftigten Arbeitnehmer, für die sie gilt, bei Teilzeitbeschäftigung eine längere maximal zulässige Dauer von Arbeitsverhältnissen festlegt als bei einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung, entgegensteht, wenn erwiesen ist, dass der prozentuale Anteil der benachteiligten weiblichen Beschäftigten signifikant höher ist als der der benachteiligten männlichen Beschäftigten, und die Regelung nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist oder die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nicht angemessen und erforderlich sind. Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 ist dahin auszulegen, dass er von der Partei, die sich durch eine solche Diskriminierung für beschwert hält, nicht verlangt, dass sie, um den Anschein einer Diskriminierung glaubhaft zu machen, in Bezug auf die Arbeitnehmer, die von der nationalen Regelung betroffen sind, konkrete statistische Zahlen oder konkrete Tatsachen vorbringt, wenn sie zu solchen Zahlen oder Tatsachen keinen oder nur schwer Zugang hat.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4604224
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Und wieder geht's um Fluglinien. Die Zahlung nach FluggastrechteVO ist nicht als Ersatz eines Verdienstausfalls gedacht. Dieser kann gesondert gefordert werden. Eine Anrechenbarkeit einer Schadenszahlung auf die andere ist in der VO nicht zwingend vorgesehen, kann aber durchgeführt werden. Fluglinien müssen aktiv informieren, der Fluggast darf sich berieseln lassen, Beweislast trägt die Fluglinie.

C-354/18 vom 29.07.2019
1. Erstens ist Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung vorgesehene Betrag nicht dazu dient, einen Schaden wie einen Verdienstausfall auszugleichen, zweitens kann dieser Schaden Gegenstand des in Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen weiter gehenden Schadensersatzanspruchs sein, und drittens ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die verschiedenen Tatbestandsmerkmale des Schadens und den Umfang seines Ausgleichs anhand der einschlägigen Rechtsgrundlage zu bestimmen und zu beurteilen.
2. Die Verordnung Nr. 261/2004, insbesondere ihr Art. 12 Abs. 1 Satz 2, ist dahin auszulegen, dass sie dem zuständigen nationalen Gericht erlaubt, die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung auf den weiter gehenden Schadensersatzanspruch anzurechnen, es aber nicht dazu verpflichtet und ihm keine Bedingungen für die Anrechnung vorgibt.
3. Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass er das ausführende Luftfahrtunternehmen dazu verpflichtet, die betroffenen Fluggäste umfassend über alle der in Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Möglichkeiten zu informieren, und die betroffenen Fluggäste nicht verpflichtet sind, aktiv an der Suche nach entsprechenden Informationen mitzuwirken.
4. Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass für die Zwecke dieser Bestimmung das ausführende Luftfahrtunternehmen die Beweislast dafür trägt, dass die anderweitige Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt stattgefunden hat.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4608115
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Amazon muss sich keine Telefonnummer zulegen, auch nicht für Verbraucher:

c-649/17 vom 10.07.2019
Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist zum einen dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, nach der ein Unternehmer verpflichtet ist, vor Abschluss eines Vertrags mit einem Verbraucher im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne von Art. 2 Nrn. 7 und 8 dieser Richtlinie stets seine Telefonnummer anzugeben. Zum anderen impliziert diese Bestimmung keine Verpflichtung des Unternehmers, einen Telefon- oder Telefaxanschluss bzw. ein E‑Mail-Konto neu einzurichten, damit die Verbraucher mit ihm in Kontakt treten können. Sie verpflichtet den Unternehmer nur dann zur Übermittlung der Telefon- oder Telefaxnummer bzw. seiner E‑Mail‑Adresse, wenn er über diese Kommunikationsmittel mit den Verbrauchern bereits verfügt.
Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung zwar den Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher ein Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen, das geeignet ist, die Kriterien einer direkten und effizienten Kommunikation zu erfüllen, doch steht diese Bestimmung dem nicht entgegen, dass der Unternehmer andere Kommunikationsmittel als die in ihr genannten zur Verfügung stellt, um diese Kriterien zu erfüllen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=2130837
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Mal eine Entscheidung zum Thema Luftqualität:

Luftporbenahmestellen dürfen nicht willkürlich festgelegt werden, deren Festlegung muss gerichtlich nachprüfbar sein

C-723/17 vom 26.06.2019
1. Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 288 Abs. 3 AEUV sowie die Art. 6 und 7 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa sind dahin auszulegen, dass es einem nationalen Gericht zusteht, auf Antrag Einzelner, die von der Überschreitung der in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie genannten Grenzwerte unmittelbar betroffen sind, zu prüfen, ob die Probenahmestellen in einem bestimmten Gebiet im Einklang mit den in Anhang III Abschnitt B Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie vorgesehenen Kriterien eingerichtet wurden, und, wenn dies nicht der Fall ist, gegenüber der zuständigen nationalen Behörde alle erforderlichen Maßnahmen wie etwa – sofern im nationalen Recht vorgesehen – eine Anordnung zu treffen, damit die Probenahmestellen im Einklang mit diesen Kriterien eingerichtet werden.
2. Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 sind dahin auszulegen, dass es für die Feststellung einer Überschreitung eines in Anhang XI der Richtlinie festgelegten Grenzwerts im Mittelungszeitraum eines Kalenderjahrs genügt, wenn an nur einer Probenahmestelle ein über diesem Wert liegender Verschmutzungsgrad gemessen wird.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=2131543
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Wieder mal Fluggastrechte: Pauschalreisen sind nicht immer der Segen, den man sich erwartet, vor allem im Insolvenzfall (wobei der Sachverhalt schon echt ausgerissen ist, dass es keinen Sicherungsschein gibt), siehe hier:

C-163/18 vom 10.07.2019
Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein Fluggast, der nach der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen gegen seinen Reiseveranstalter einen Anspruch auf Erstattung seiner Flugscheinkosten hat, vom Luftfahrtunternehmen gemäß dieser Verordnung keine solche Erstattung mehr verlangen kann, und zwar auch dann nicht, wenn der Reiseveranstalter finanziell nicht in der Lage ist, die Flugscheinkosten zu erstatten, und keine Maßnahmen getroffen hat, diese Erstattung sicherzustellen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5067409
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Die Gültigkeit der Fluggastrechte VO ist sehr weit! Eine einzige Buchung mit mehreren Teilflügen, wobei nur der Abflug vom Flughafen eines Mitgliedslandes mit einer Airline des Mitgliedslandes passiert und die Verspätung tritt dann auf einem anderen Teilflug in einem Drittland mit einer Airline mit Sitz in einem Drittland auf, so kann man Ausgleichszahlung von der Airline im Mitgleidsland verlangen.

Da soll noch mal einer sagen, die EU bringt nix. Hier ist der Gegenbeweis, hier sieht man, was die EU uns gebracht hat, zumindest als Fluggast! :n67: :n3: :old

C-502/18 vom 11.07.2019
Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass ein Fluggast, der bei einem aus zwei Teilflügen bestehenden Flug mit Umsteigen mit Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, Zwischenlandung auf dem Flughafen eines Drittlands und Zielflughafen in einem anderen Drittland, der Gegenstand einer einzigen Buchung war, seinen Zielort mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr erreicht, die auf den zweiten Teilflug zurückgeht, der im Rahmen einer Codesharing-Vereinbarung von einem Luftfahrtunternehmen mit Sitz in einem Drittland durchgeführt wurde, seine Klage auf Ausgleichszahlung nach dieser Verordnung gegen das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft richten kann, das den ersten Flug durchgeführt hat.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5067719
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