Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Spannende Entscheidung, Beamte und Vertragsbedienstete sind bei bestimmten Gestaltungen, hier einer Vergütungszulage, gleich zu behandeln.

Der VwGH judiziert dies bei uns regelmäßig anders.

C-72/18 vom 20.06.2019
Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999 im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB‑UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, wonach Lehrkräften, die im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses als Beamte eingestellt wurden, nicht aber insbesondere Lehrkräften, die als Vertragsbedienstete in der Verwaltung befristet eingestellt wurden, eine Vergütungszulage gewährt wird, sofern die einzige Voraussetzung für die Gewährung der Zulage darin besteht, dass eine bestimmte Dienstzeit zurückgelegt wurde.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5215969
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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ein Unternehmen wird von einer Gemeinde erworben. Müssen sich die Dienstnehmer bei der Gemeinde über ein Ausschreibungsverfahren bewerben? Nein sagt der EuGH:

C-317/18 vom 13.06.2019
1. Die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, namentlich ihr Art. 2 Abs. 1 Buchst. d, ist dahin auszulegen, dass eine Person, die mit dem Veräußerer einen Vertrag zur Übernahme einer Vertrauensstellung im Sinne der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden innerstaatlichen Regelung geschlossen hat, als „Arbeitnehmer“ angesehen werden und daher den von dieser Richtlinie gewährten Schutz in Anspruch nehmen kann, vorausgesetzt jedoch, dass sie von dieser Regelung als Arbeitnehmer geschützt wird und zum Zeitpunkt des Übergangs über einen Arbeitsvertrag verfügt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
2. Die Richtlinie 2001/23 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass sie einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, nach der bei einem Übergang im Sinne dieser Richtlinie und für den Fall, dass der Erwerber eine Gemeinde ist, die betroffenen Arbeitnehmer sich zum einen einem öffentlichen Auswahlverfahren unterziehen müssen und zum anderen dem Erwerber gegenüber in einem neuen Rechtsverhältnis verpflichten müssen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5216935
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

GMail ist kein elektronischer Kommunikationsdienst (es ging um die Frage einer Meldepflicht in der BRD):

C-193/18 vom 13.06.2019
Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) in der durch die Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein internetbasierter E‑Mail-Dienst, der wie der von der Google LLC erbrachte Dienst Gmail keinen Internetzugang vermittelt, nicht ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze besteht und daher keinen „elektronischen Kommunikationsdienst“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5217153
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ein Urteil zu effektiven Arbeitsaufzeichnungen, das sogar durch die Medien gegangen ist und mehr Fragen hinterlässt (zB: sollen jetzt Richter auch einer Zeiterfassung unterworfen werden?), als es Antworten gibt. Der Ausgangsfall war haarsträubend, daher ist es die Antwort des EuGH leider auch:

C-55/18 vom 14.05.2019
Die Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie von Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5217566
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Der EuGH beschäftigt sich hier mit einem sperrigen Zelt (Partyzelt), welches gekauft wurde, aber nicht mängelfrei war. Die Frage ist, wer muss den Transport nach Auftreten des Mangels zahlen bzw. wo muss Ersatz/Reparatur geleistet werden oder kommt es gar zu einer Vertragsauflösung mit Rückabwicklung?

C-52/18 vom 23.05.2019
1. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten für die Bestimmung des Ortes zuständig bleiben, an dem der Verbraucher gemäß dieser Vorschrift dem Verkäufer ein im Fernabsatz erworbenes Verbrauchsgut für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitzustellen hat. Dieser Ort muss für eine unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands binnen einer angemessenen Frist ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher geeignet sein, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind. Insoweit ist das nationale Gericht verpflichtet, eine mit der Richtlinie 1999/44 vereinbare Auslegung vorzunehmen und gegebenenfalls auch eine gefestigte Rechtsprechung zu ändern, wenn diese auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen dieser Richtlinie unvereinbar ist.
2. Art. 3 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass das Recht des Verbrauchers auf eine „unentgeltliche“ Herstellung des vertragsgemäßen Zustands eines im Fernabsatz erworbenen Verbrauchsgutes nicht die Verpflichtung des Verkäufers umfasst, wenn das Verbrauchsgut zum Zweck der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands an den Geschäftssitz des Verkäufers transportiert wird, einen Vorschuss auf die damit verbundenen Kosten zu leisten, sofern für den Verbraucher die Tatsache, dass er für diese Kosten in Vorleistung treten muss, keine Belastung darstellt, die ihn von der Geltendmachung seiner Rechte abhalten könnte; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.
3. Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens der Verbraucher, der dem Verkäufer die Vertragswidrigkeit des im Fernabsatz erworbenen Verbrauchsgutes mitgeteilt hat, dessen Transport an den Geschäftssitz des Verkäufers für ihn eine erhebliche Unannehmlichkeit darstellen könnte, und der dem Verkäufer dieses Verbrauchsgut an seinem Wohnsitz zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitgestellt hat, mangels Abhilfe binnen einer angemessenen Frist die Vertragsauflösung verlangen kann, wenn der Verkäufer keinerlei angemessene Maßnahme ergriffen hat, um den vertragsgemäßen Zustand des Verbrauchsgutes herzustellen, wozu auch gehört, dem Verbraucher den Ort mitzuteilen, an dem er ihm dieses Verbrauchsgut zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitstellen muss. Insoweit ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand einer mit der Richtlinie 1999/44 vereinbaren Auslegung sicherzustellen, dass der Verbraucher sein Recht auf Vertragsauflösung ausüben kann.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5218087
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Ein Mönch als Rechtsanwalt? Auch das muss erlaubt sein:

C-431/17 vom 07.05.2019
Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach es einem Rechtsanwalt, der Mönch ist und bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats als Rechtsanwalt eingetragen ist, aufgrund der nach dieser Regelung vorgesehenen Unvereinbarkeit zwischen der Eigenschaft als Mönch und der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs verboten ist, sich bei der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats eintragen zu lassen, um dort seinen Beruf unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5218490
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Ein Preisnachlass für eine elektronische Rechnung beim Stromanbieter ist zulässig:

C-294/18 vom 02.05.2019
Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2012/27/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Energieeffizienz, zur Änderung der Richtlinien 2009/125/EG und 2010/30/EU und zur Aufhebung der Richtlinien 2004/8/EG und 2006/32/EG ist dahin auszulegen, dass er einem Preisnachlass auf die Stromgrundgebühr, den ein Stromeinzelhandelsunternehmen nur den Endkunden gewährt, die sich für die Zustellung der Abrechnung auf elektronischem Wege entschieden haben, unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5219155
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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:old :tw Es geht schon wieder um Arbeitsvertragsgestaltung im öffentlichen Sektor und dessen Mißbrauch:

C-494/17 vom 08.05.2019
Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB‑UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist, ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die in ihrer Anwendung durch die nationalen Höchstgerichte bei Lehrkräften im öffentlichen Sektor, deren befristetes Arbeitsverhältnis mit beschränkter Rückwirkung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt worden ist, jeden Anspruch auf finanzielle Entschädigung wegen missbräuchlicher Verwendung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge ausschließt, wenn diese Umwandlung weder ungewiss noch unvorhersehbar noch zufällig ist und die begrenzte Berücksichtigung des aufgrund der aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge erworbenen Dienstalters eine angemessene Maßnahme zur Ahndung dieses Missbrauchs darstellt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5219371

Irgendwie sollte man meinen, dass Dienstgeber des öffentlichen Sektors sich vorbildlich verhalten. Wenn man sich die vielen Entscheidungen des EuGH zum Thema ansieht, keimen Zweifel auf!
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Befristete Arbeitsverhältnisse dürfen niedrigeren Beendigungsansprüchen unterliegen:

C-29/18 vom 11.04.2019
Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB‑UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist, ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach in einer Situation wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der die Kündigung eines zwischen dem Arbeitgeber und einem seiner Kunden geschlossenen Dienstleistungsvertrags zum einen die Beendigung von zwischen diesem Arbeitgeber und einigen seiner Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsverträgen zur Erbringung einer Werk- oder Dienstleistung zur Folge hatte und zum anderen zur auf einen sachlichen Grund gestützten kollektiven Entlassung von von diesem Arbeitgeber unbefristet eingestellten Arbeitnehmern geführt hat, die den befristet beschäftigten Arbeitnehmern wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung niedriger ist als diejenige, die den unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern gewährt wird.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5219850
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Die teilweise Kappung der Anrechnung von Dienstzeiten bei einem anderen Arbeitgeber ist zulässig.:

C-437/17 vom 13.03.2019
Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen, wonach bei der Feststellung, ob ein Arbeitnehmer, der insgesamt 25 Jahre Berufstätigkeit aufweist, Anspruch darauf hat, dass sich sein bezahlter Jahresurlaub von fünf auf sechs Wochen erhöht, von den Jahren, die er im Rahmen eines oder mehrerer Arbeitsverhältnisse zurückgelegt hat, die dem Arbeitsverhältnis mit seinem derzeitigen Arbeitgeber vorausgegangen sind, nur höchstens fünf Berufsjahre angerechnet werden, auch wenn ihre tatsächliche Zahl mehr als fünf beträgt.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5220162
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Und schon wieder Fluggastrechte. Hier geht es um eine Gemengelage aus außergewöhnlichen Umständen und Umständen aus gewöhnlichem Betrieb und wann es zu einer Ausgleichszahlung kommt:

C-501/17 vom 04.04.2019
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 in Verbindung mit deren 14. Erwägungsgrund ist dahin auszulegen, dass die Beschädigung des Reifens eines Flugzeugs durch einen Fremdkörper, wie einen umherliegenden Gegenstand, auf dem Rollfeld eines Flughafens unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

Um sich von seiner Verpflichtung nach Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004, den Fluggästen Ausgleich zu leisten, zu befreien, hat das Luftfahrtunternehmen, dessen Flug aufgrund eines solchen „außergewöhnlichen Umstands“ eine große Verspätung hat, jedoch nachzuweisen, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass der Austausch des Reifens, der durch einen Fremdkörper, wie einen umherliegenden Gegenstand, auf dem Rollfeld eines Flughafens beschädigt wurde, nicht zu dieser großen Verspätung des betreffenden Fluges führt.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5220162

Betroffene Airline war Germanwings, die wird dank Coronakrise nicht mehr abheben. Und bitte keinesfalls verwechseln mit Eurowings!
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Und wieder mal eine interessante Entscheidung zu Bürgerinitiativen und ein Hinweis, dass deren Registrierung heiß umfehdet sein kann:

C-420/16 P vom 07.03.2019
1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 10. Mai 2016, Izsák und Dabis/Kommission (T‑529/13, EU:T:2016:282), wird aufgehoben.
2. Der Beschluss C (2013) 4975 final der Kommission vom 25. Juli 2013 über die Anmeldung der Europäischen Bürgerinitiative „Kohäsionspolitik für die Gleichstellung der Regionen und die Erhaltung der regionalen Kulturen“ wird für nichtig erklärt.
3. Die Europäische Kommission trägt die im Verfahren im ersten Rechtszug und im Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.
4. Ungarn, Rumänien und die Slowakische Republik tragen ihre eigenen Kosten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=2796522
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Mal wieder Fluggastrechte: ein wilder Streik, den man durch eine abrupte Ankündigung seitens der Airline selbst verursacht hat, ist kein außergewöhnlicher Umstand!

Und wieder frage ich mich, wieso es so eine Sache zum EuGH schafft. :doh

C-195/17 ua vom 17.04.2018
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist im Licht ihres 14. Erwägungsgrundes dahin auszulegen, dass die spontane Abwesenheit eines erheblichen Teils des Flugpersonals („wilder Streik“), wie sie in den Ausgangsverfahren in Rede steht, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn sie auf die überraschende Ankündigung von Umstrukturierungsplänen durch ein ausführendes Luftfahrtunternehmen zurückgeht und einem Aufruf folgt, der nicht von den Arbeitnehmervertretern des Unternehmens verbreitet wird, sondern spontan von den Arbeitnehmern selbst, die sich krank meldeten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=3009784
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Fluggastrechte und Gerichtsstand bei zwei Teilstücken, wo ein Teilstück von einer Airline abgewickelt wurde, die den Sitz in einem Drittstaat hat.

C-274/16 vom 07.03.2018
1. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er auf einen Beklagten mit (Wohn-)Sitz in einem Drittstaat wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens keine Anwendung findet.
2. Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Bestimmung auch eine von Fluggästen auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 erhobene Klage auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung bei einer aus mehreren Teilstrecken bestehenden Flugreise umfasst, die sich gegen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen richtet, das nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist.
3. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 und Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sind dahin auszulegen, dass bei einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise „Erfüllungsort“ im Sinne dieser Bestimmungen der Ankunftsort der zweiten Teilstrecke ist, wenn die Beförderungen auf den beiden Teilstrecken von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden und die Klage gemäß der Verordnung Nr. 261/2004 auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung bei dieser aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise auf eine Störung gestützt wird, die auf dem ersten Flug eingetreten ist, der von dem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=3010481
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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In dieser Entscheidung geht es um die Untersuchung eines potentiellen Mobbingfalles durch den Präsidenten der EIB (Europäische Investitionsbank). Ein Verfahrensfehler führte zur Aufhebung der EuG Entscheidung:

C-558/17 P vom 04.04.2019
1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2017, OZ/EIB (T‑607/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:495), wird aufgehoben, soweit darin zum einen die von OZ in ihrer Klageschrift gestellten, auf die Haftung der Europäischen Investitionsbank (EIB) für rechtswidrige Handlungen im Rahmen des Untersuchungsverfahrens, einschließlich der Missachtung des Rechts der Rechtsmittelführerin darauf, dass ihre Sache in einem fairen Verfahren verhandelt wird, gestützten Schadensersatzanträge und zum anderen die in der Klageschrift gestellten Aufhebungsanträge zurückgewiesen wurden.
2. Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung des Präsidenten der Europäischen Investitionsbank vom 16. Oktober 2015, der von OZ eingelegten Beschwerde wegen sexueller Belästigung nicht stattzugeben, wird aufgehoben.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Europäische Investitionsbank trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten, die OZ im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren entstanden sind.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=3213343
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Eine Bestellpostkarte mit aufgedrucktem Hyperlink zur Information über das Widerrufsrecht war der Ausgangspunkt des EuGH in seiner Entscheidung. Dazu sagt er:

C-430/17 vom 23.01.2019
Die Frage, ob in einem konkreten Fall auf dem Kommunikationsmittel für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ist unter Berücksichtigung sämtlicher technischer Eigenschaften der Werbebotschaft des Unternehmers zu beurteilen. Hierbei hat das nationale Gericht zu prüfen, ob – unter Berücksichtigung des Raumes und der Zeit, die von der Botschaft eingenommen werden, und der Mindestgröße des Schrifttyps, der für einen durchschnittlichen Verbraucher, an den diese Botschaft gerichtet ist, angemessen ist, – alle in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Informationen objektiv in dieser Botschaft dargestellt werden könnten.
Art. 6 Abs. 1 Buchst. h und Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 sind dahin auszulegen, dass – falls der Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wird, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, und wenn ein Widerrufsrecht besteht – der Unternehmer über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags die Information über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts erteilen muss. In einem solchen Fall muss der Unternehmer dem Verbraucher das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B dieser Richtlinie auf andere Weise in klarer und verständlicher Weise zur Verfügung stellen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=3213813
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Hier geht es um einen Fall, Österreich betreffend, in dem sich der schon vor Jahren aufgehobene "Homosexuellen" Paragraph insofern auswirkte, als die Disziplinarstrafe sich bei der Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand in Form einer Kürzung der Ruhebezüge noch immer auswirkte. Der EuGH hat zum Thema Gleichbehandlung wegen sexueller Orientierung in Beschäftigung und Beruf Folgendes ausgesprochen:

C-258/17 vom 15.01.2019
1. Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist dieser Richtlinie, d. h. ab dem 3. Dezember 2003, auf die zukünftigen Wirkungen einer in Rechtskraft erwachsenen Disziplinarentscheidung, die vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassen wurde und mit der die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand unter Kürzung seiner Ruhebezüge angeordnet wurde, anwendbar ist.
2. Die Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass sie in einer Situation wie der in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils beschriebenen das nationale Gericht verpflichtet, für die Zeit ab dem 3. Dezember 2003 zwar nicht die bestandskräftige Disziplinarstrafe, mit der der betreffende Beamte in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde, aber die Kürzung seiner Ruhebezüge zu überprüfen, um den Betrag zu ermitteln, den er erhalten hätte, wenn er nicht aufgrund der sexuellen Orientierung diskriminiert worden wäre.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=3214461

Ich sehe das Ergebnis als Quasi-Rechtskraftdurchbrechung als äußerst überraschend an. :old :shock:
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Immer gut aufpassen beim Eintragen der IBAN! Der EuGH zeigt auf, dass die Haftungsbeschränkung bei Abweichen von IBAN und Name bei allen am Überweisungsvorgang beteiligten Zahlungsdienstleister anwendbar ist und eine Überweisung nur aufgrund des IBAN ausgeführt werden kann!

C-245/18 vom 21.03.2019
Art. 74 Abs. 2 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Haftungsbeschränkung des Zahlungsdienstleisters, wenn ein Zahlungsauftrag in Übereinstimmung mit dem vom Zahlungsdienstnutzer angegebenen Kundenidentifikator ausgeführt wird, dieser aber nicht mit dem von diesem Nutzer angegebenen Namen des Zahlungsempfängers übereinstimmt, sowohl auf den Zahlungsdienstleister des Zahlers als auch auf den Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers Anwendung findet.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=3216507

:old :evil: :tw
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Eine Matratze auspacken und wieder zurückschicken, geht das? Ja, sagt der EuGH:

C-681/17 vom 27.03.2019
Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass eine Ware wie eine Matratze, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, nicht unter den Begriff „versiegelte Waren …, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=3217249
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Die Karfreitag Entscheidung des EuGH wäre uns hier fast durch die Lappen gegangen. Der freie Tag alleine für evangelische Gläubige stellt laut EuGH eine unmittelbare Diskriminierung wegen Religion da.

C-193/17 vom 22.01.2019
1. Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der zum einen der Karfreitag ein Feiertag nur für die Arbeitnehmer ist, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, und zum anderen nur diese Arbeitnehmer, wenn sie zur Arbeit an diesem Feiertag herangezogen werden, Anspruch auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung haben, eine unmittelbare Diskriminierung der Religion wegen darstellt.
Die mit dieser nationalen Regelung vorgesehenen Maßnahmen können weder als zur Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer notwendige Maßnahmen im Sinne des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 noch als spezifische Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen wegen der Religion im Sinne des Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen werden.
2. Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass, solange der betroffene Mitgliedstaat seine Regelung, nach der nur den Arbeitnehmern, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, der Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zusteht, nicht zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung geändert hat, ein privater Arbeitgeber, der dieser Regelung unterliegt, verpflichtet ist, auch seinen anderen Arbeitnehmern das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zu gewähren, sofern diese zuvor mit dem Anliegen an ihn herangetreten sind, an diesem Tag nicht arbeiten zu müssen, und ihnen folglich, wenn er sie abschlägig beschieden hat, das Recht auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung zuzuerkennen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=3217561

Bedenklich, finde ich, ist der Weg, wie diese Entscheidung zustande kam. Das Grundverfahren wurde nämlich durch Rechtsschutz der Arbeiterkammer ausgelöst. Und diese hat ja nicht nur die Interessen der Mitglieder mit nicht-evangelischer/-methodistischer/-altkatholischer Religion zu wahren. Demnach hätte diese den Rechtsschutz eigentlich ablehnen müssen.

Warum sie das nicht tat, darüber wird gemunkelt. Das sich am häufigsten wiederholende Gerücht lautet, dass das Argument bei Rechtsschutzgewährung, das zum EuGH Verfahren führte, noch nicht am Tisch lag und der Rechtsanwalt dieses im Verfahren erst aufgebracht hat und aufgrund einer Bestimmung zwischen Anwalt und AK nicht jedes Detail an die AK rückzumelden war. Da es ein Gerücht ist, sei es mal dahingestellt.

Jedenfalls ist das Ergebnis, dass der offizielle Feiertag nunmehr gestrichen wurde und es einen persönlichen Feiertag gibt, den man wählen kann, der aber nicht aus dem normalen Kontingent an Urlaubstagen zu bestreiten ist.

Siehe dazu auch: https://www.arbeiterkammer.at/beratung/ ... ertag.html
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Pensionsanpassung 2008 als Frauendiskriminierung, so entscheidet der EuGH. Wer hat die Heldentat von Regierungsseite damals zu verantworten: Rot-Schwarz.

C-123/10 vom 20.10.2011
1. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass ein System der jährlichen Pensionsanpassung wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Geltungsbereich dieser Richtlinie und damit unter das Diskriminierungsverbot in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie fällt.
2. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 ist dahin auszulegen, dass das vorlegende Gericht in Anbetracht der ihm unterbreiteten statistischen Daten und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zu der Annahme berechtigt wäre, dass diese Bestimmung einer nationalen Regelung entgegensteht, die dazu führt, dass ein erheblich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Pensionsbezieher von einer außerordentlichen Pensionserhöhung ausgeschlossen wird.
3. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 ist dahin auszulegen, dass – falls das vorlegende Gericht im Rahmen der von ihm zur Beantwortung der zweiten Frage vorzunehmenden Prüfung zu dem Ergebnis kommen sollte, dass der Ausschluss der Kleinstpensionen von der außerordentlichen Erhöhung, die die im Ausgangsverfahren fragliche Anpassungsregelung vorsieht, tatsächlich geeignet war, einen erheblich höheren Prozentsatz weiblicher als männlicher Pensionsbezieher zu benachteiligen – diese Benachteiligung weder mit dem früheren Pensionsanfallsalter erwerbstätiger Frauen noch mit der bei ihnen längeren Bezugsdauer der Pension oder damit gerechtfertigt werden kann, dass auch der Ausgleichszulagenrichtsatz für das Jahr 2008 überproportional erhöht wurde.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6038696
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Zur Abgrenzung Arbeitszeit - Bereitschaftszeit hat der EuGH Ausführungen (in Zusammenhang mit Feuerwehrleuten im Ausgangsverfahren) getätigt:

C-518/15 vom 21.02.2018
1. Art. 17 Abs. 3 Buchst. c Ziff. iii der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten im Hinblick auf bestimmte Kategorien von bei öffentlichen Feuerwehrdiensten beschäftigten Feuerwehrleuten nicht von allen Verpflichtungen aus der Richtlinie, einschließlich deren Art. 2, in dem insbesondere die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ definiert sind, abweichen dürfen.
2. Art. 15 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, eine weniger restriktive Definition des Begriffs „Arbeitszeit“ beizubehalten oder einzuführen als die in Art. 2 der Richtlinie.
3. Art. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, das Arbeitsentgelt für Bereitschaftszeiten zu Hause wie die im Ausgangsverfahren fraglichen in Abhängigkeit davon festzulegen, ob diese Zeiten zuvor als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ eingestuft wurden.
4. Art. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass die Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringt und während deren er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten, wodurch die Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, erheblich eingeschränkt ist, als „Arbeitszeit“ anzusehen ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6046395
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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harald wrote:
11 Apr 2020, 15:15
Die Gültigkeit der Fluggastrechte VO ist sehr weit! Eine einzige Buchung mit mehreren Teilflügen, wobei nur der Abflug vom Flughafen eines Mitgliedslandes mit einer Airline des Mitgliedslandes passiert und die Verspätung tritt dann auf einem anderen Teilflug in einem Drittland mit einer Airline mit Sitz in einem Drittland auf, so kann man Ausgleichszahlung von der Airline im Mitgleidsland verlangen.

Da soll noch mal einer sagen, die EU bringt nix. Hier ist der Gegenbeweis, hier sieht man, was die EU uns gebracht hat, zumindest als Fluggast! :n67: :n3: :old

C-502/18 vom 11.07.2019
Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass ein Fluggast, der bei einem aus zwei Teilflügen bestehenden Flug mit Umsteigen mit Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, Zwischenlandung auf dem Flughafen eines Drittlands und Zielflughafen in einem anderen Drittland, der Gegenstand einer einzigen Buchung war, seinen Zielort mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr erreicht, die auf den zweiten Teilflug zurückgeht, der im Rahmen einer Codesharing-Vereinbarung von einem Luftfahrtunternehmen mit Sitz in einem Drittland durchgeführt wurde, seine Klage auf Ausgleichszahlung nach dieser Verordnung gegen das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft richten kann, das den ersten Flug durchgeführt hat.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5067719
Eine ähnliche Entscheidung, jedoch damals noch nicht so weitgehend, gabs auch schon am 31.05.2018:

C-537/17
Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass diese Verordnung für eine Fluggastbeförderung gilt, die aufgrund einer einzigen Buchung erfolgt und zwischen dem Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats und der Ankunft auf einem Flughafen im Gebiet eines Drittstaats eine planmäßige Zwischenlandung außerhalb der Europäischen Union mit einem Wechsel des Fluggeräts umfasst.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6046668
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Whiskyliebhaber aufgepasst, es ist nicht alles Schottisch, was Glen im Namen hat! :n67: :old Hier geht's um Glen Buchenbach, einen Whisky aus Deutschland. Der EuGH setzt sich mit dem Schutz geografischer Angaben auseinander:

C-44/17 vom 07.06.2018
1. Art. 16 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 110/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen sowie zum Schutz geografischer Angaben für Spirituosen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1576/89 ist dahin auszulegen, dass eine „indirekte gewerbliche Verwendung“ einer eingetragenen geografischen Angabe nur dann vorliegt, wenn der streitige Bestandteil in einer Form verwendet wird, die mit dieser Angabe identisch oder ihr klanglich und/oder visuell ähnlich ist. Somit genügt es nicht, dass der streitige Bestandteil bei den angesprochenen Verkehrskreisen eine irgendwie geartete Assoziation mit der eingetragenen geografischen Angabe oder dem zugehörigen geografischen Gebiet wecken kann.
2. Art. 16 Buchst. b der Verordnung Nr. 110/2008 ist dahin auszulegen, dass das vorlegende Gericht bei der Feststellung, ob eine „Anspielung“ auf eine eingetragene geografische Angabe vorliegt, zu beurteilen hat, ob der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige europäische Durchschnittsverbraucher durch die streitige Bezeichnung veranlasst wird, einen unmittelbaren gedanklichen Bezug zu der Ware, die die geschützte geografische Angabe trägt, herzustellen. Im Rahmen dieser Beurteilung hat es, mangels einer klanglichen und/oder visuellen Ähnlichkeit der streitigen Bezeichnung mit der geschützten geografischen Angabe oder eines teilweisen Einschlusses dieser Angabe in der Bezeichnung, gegebenenfalls die inhaltliche Nähe der Bezeichnung zu der Angabe zu berücksichtigen.
Art. 16 Buchst. b der Verordnung Nr. 110/2008 ist dahin auszulegen, dass bei der Feststellung, ob eine „Anspielung“ auf eine eingetragene geografische Angabe vorliegt, das Umfeld des streitigen Bestandteils und insbesondere der Umstand, dass er von einer Angabe über den wahren Ursprung des betreffenden Erzeugnisses begleitet wird, nicht zu berücksichtigen sind.
3. Art. 16 Buchst. c der Verordnung Nr. 110/2008 ist dahin auszulegen, dass bei der Feststellung, ob eine nach dieser Bestimmung unzulässige „falsche oder irreführende Angabe“ vorliegt, das Umfeld, in dem der streitige Bestandteil verwendet wird, nicht zu berücksichtigen ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6047186
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Wer weiß, was ein Wetlease ist?

Es wird das Flugzeug samt Personal von einer Fluggesellschaft vermietet und die mietende Fluggesellschaft trägt die operative Verantwortung.

Bei der EuGH Übersetzung ist das übrigens die "operationelle" Verantwortung. :doh

Und dann bleibt halt die Frage, von wem verlange ich die Ausgleichszahlung nach FluggastrechteVO? Die Antwort gibt der EuGH hier:

C-532/17 vom 04.07.2018
Der Begriff „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 und insbesondere ihres Art. 2 Buchst. b ist dahin auszulegen, dass er das Luftfahrtunternehmen, das – wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende – einem anderen Luftfahrtunternehmen im Rahmen eines Vertrags über die Vermietung eines Flugzeugs mit Besatzung („wet lease“) das Flugzeug samt Besatzung vermietet, für die Flüge aber nicht die operationelle Verantwortung trägt, nicht erfasst, auch wenn es in der den Fluggästen ausgestellten Buchungsbestätigung über einen Platz auf einem Flug heißt, dass dieser Flug von dem erstgenannten Unternehmen ausgeführt wird.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6047851
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Oft finde ich es schlecht, dass die Briten die EU verlassen werden, manchmal finde ich es gut, wie bei dieser Entscheidung.

Es geht um die Genehmigung staatlicher Beihilfen, also der Erklärung der Kommission, dass die Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, bezüglich des Kernkraftwerks Hinkley Point.

Dagegen haben sich Österreich und Luxemburg gewehrt. Tschechien, Frankreich, Ungarn, Polen, Rumänien, die Slowakei und GB samt Nordirland (und natürlich die Kommission) waren der Widerpart.

Geholfen hats nix:

T-356/15 vom 12.07.2018
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Republik Österreich trägt ihren eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission.
3. Die Tschechische Republik, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, Ungarn, die Republik Polen, Rumänien, die Slowakische Republik und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6048484
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ein Messestand als Geschäftsräumlichkeit? Laut EuGH ist das möglich, was zu einer Einschränkung des Verbraucherschutzes führen kann:

C-485/17 vom 07.08.2018
Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass ein Messestand eines Unternehmers wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, an dem der Unternehmer seine Tätigkeiten an wenigen Tagen im Jahr ausübt, unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6048568
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Ein Ausflug ins Vergaberecht: es war lange umstritten, ob Schiedsstellen einem gerichtlichen Nachprüfungsverfahren vorgeschaltet werden dürfen.

So eine Schlichtungsstelle gibt es zB in Niederösterreich (ist aber freiwilliger Natur).

Der EuGH gibt grünes Licht:

C-300/17 vom 07.08.2018
1. Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs wegen des Verstoßes gegen Bestimmungen über öffentliche Aufträge und die Vergabe öffentlicher Aufträge der Voraussetzung unterwirft, dass eine Schiedsstelle bzw. – bei einer gerichtlichen Überprüfung des Beschlusses dieser Schiedsstelle – ein Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt.
2. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ist dahin auszulegen, dass es im Kontext einer Schadensersatzklage einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, die die gerichtliche Überprüfung der Beschlüsse einer Schiedsstelle, die in erster Instanz für die Kontrolle der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist, ausschließlich auf die Prüfung der Gründe beschränkt, die vor dieser Stelle geltend gemacht wurden.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6049185
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Ein Sparkonto ist kein Zahlungskonto:

C-191/17 vom 04.10.2018
Art. 4 Nr. 14 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG ist dahin auszulegen, dass ein Sparkonto mit täglicher Fälligkeit, auf das bzw. von dem Einzahlungen und Abhebungen nur über ein Girokonto vorgenommen werden können, nicht unter den Begriff „Zahlungskonto“ fällt.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6051502
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Zum zeitlichen Geltungsbereich einer Richtlinie im Zusammenhang mit einer Altersrente hat der EuGH Folgendes gesagt:

C-432/17 vom 07.11.2018
Die Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit ist in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 97/81 in der durch die Richtlinie 98/23 geänderten Fassung zurückgelegten Dienstzeiten bei der Ermittlung der Ansprüche auf Altersrente zu berücksichtigen sind.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6051925
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Flug London - Stuttgart wird gebucht. Airline ist Germanwings. Preis wird in Pfund Sterling angezeigt, in Rechnung gestellt und bezahlt. Die deutsche Verbraucherzentrale ist der Meinung, der Vorgang hätte in Euro passieren sollen.

EuGH sieht das anders:

C-330/17 vom 15.11. 2018
Art. 23 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft in Verbindung mit Art. 2 Nr. 18 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass Luftfahrtunternehmen, die die Flugpreise für innergemeinschaftliche Flugdienste nicht in Euro ausdrücken, verpflichtet sind, für deren Angabe eine mit dem angebotenen Dienst objektiv in Verbindung stehende Landeswährung zu wählen. Dies ist insbesondere bei einer Währung der Fall, die in dem Mitgliedstaat des Abflug- oder Ankunftsorts des betreffenden Flugs als gesetzliches Zahlungsmittel gilt.
Somit können in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, in der ein Luftfahrtunternehmen, das in einem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem der Euro gesetzliches Zahlungsmittel ist, im Internet einen Flugdienst mit Abflugort in einem anderen Mitgliedstaat anbietet, in dem eine andere Währung als der Euro gesetzliches Zahlungsmittel ist, die nicht in Euro ausgedrückten Flugpreise in der Währung ausgewiesen werden, die in diesem anderen Mitgliedstaat als gesetzliches Zahlungsmittel gilt.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6052181
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Geldbußen können ganz schön hoch ausfallen in der EU, wenn man seine marktbeherrschende Stellung missbraucht. Hier ein Beispiel betreffend den slowakischen Markt:

T-827/14 vom 13.12.2018
1. Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 des Beschlusses C(2014) 7465 final der Kommission vom 15. Oktober 2014 in einem Verfahren nach Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und Artikel 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (Sache AT.39523 – Slovak Telekom) wird insoweit für nichtig erklärt, als darin festgestellt wird, dass die Deutsche Telekom AG vom 12. August 2005 bis zum 31. Dezember 2005 unfaire Tarife angewandt habe, die es einem ebenso effizienten Wettbewerber, der auf der Vorleistungsebene auf den entbündelten Zugang zu den Teilnehmeranschlüssen der Slovak Telekom a.s. angewiesen sei, unmöglich machten, ebenso umfassende Breitbanddienste für Endkunden wie die Slovak Telekom a.s. aufzubauen, ohne Verluste zu verzeichnen.
2. Art. 2 des Beschlusses C(2014) 7465 final wird insoweit für nichtig erklärt, als gegen die Deutsche Telekom AG gesamtschuldnerisch eine Geldbuße in Höhe von 38 838 000 Euro und allein eine Geldbuße in Höhe von 31 070 000 Euro verhängt wird.
3. Die gegen die Deutsche Telekom AG gesamtschuldnerisch verhängte Geldbuße wird auf 38 061 963 Euro und die gegen diese Gesellschaft allein verhängte Geldbuße auf 19 030 981 Euro festgesetzt.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Deutsche Telekom AG trägt vier Fünftel ihrer eigenen Kosten, vier Fünftel der Kosten der Europäischen Kommission und vier Fünftel der Kosten der Slovanet, a.s.
6. Die Kommission trägt ein Fünftel ihrer eigenen Kosten und ein Fünftel der Kosten der Deutschen Telekom AG.
7. Die Slovanet, a.s. trägt ein Fünftel ihrer eigenen Kosten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6052511

Und es gab dann sogar noch Berichtigungsanträge, siehe Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6052511
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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In dieser Entscheidung geht es um Zinszahlungen an Gesellschaften, die aus steuerrechtlichen Gründen über künstlich zwischengeschaltete Gesellschaften, erfolgen und umgeleitet sind. Die Zinszahlungen beliefen sich auf einen Prozentwert von rund 10%. Die zwischengeschalteten Gesellschaften hatten sonst keine Finanzierungszuflüsse.

Riecht also alles sehr nach Rechtsmissbrauch. Daher auch eine lange Antwort des EuGH:

C-115/16 vom 26.02.2019
1. Die Rechtssachen C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16 und C‑299/16 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
2. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten ist in Verbindung mit deren Art. 1 Abs. 4 dahin auszulegen, dass die Befreiung von Einkünften in Form von Zinsen von allen darauf erhebbaren Steuern, die er vorsieht nur für den Nutzungsberechtigten der Zinsen gilt, d. h. für die Einheit, die wirtschaftlich betrachtet tatsächlicher Nutznießer der Zinsen ist und somit frei über deren Verwendung bestimmen kann.
Der allgemeine Grundsatz des Unionsrechts, dass man sich nicht betrügerisch oder missbräuchlich auf die Vorschriften des Unionsrechts berufen kann, ist dahin auszulegen, dass die nationalen Behörden und Gerichte einem Steuerpflichtigen dieBefreiung von Einkünften in Form von Zinsen von allen darauf erhebbaren Steuern gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 bei Betrug oder Missbrauch auch dann zu verwehren haben, wenn dies nicht in einzelstaatlichen oder vertraglichen Bestimmungen vorgesehen ist.
3. Der Nachweis eines Rechtsmissbrauchs setzt zum einen eine Gesamtheit objektiver Umstände voraus, aus denen sich ergibt, dass das Ziel der Unionsregelung, obwohl deren Voraussetzungen formal erfüllt sind, nicht erreicht worden ist, und zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, aus der Unionsregelung, indem künstlich die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden, einen Vorteil zu erlangen. Aus dem Zusammentreffen einer Reihe von Indizien kann, sofern diese objektiv und übereinstimmend sind, geschlossen werden, dass ein Missbrauch vorliegt. Als solche Indizien kommen insbesondere die Existenz von Durchleitungsgesellschaften, für die es keine wirtschaftliche Rechtfertigung gibt, und der Pro-forma-Charakter der Konzernstruktur, der Steuergestaltung und der Darlehen in Betracht. Dass der Quellenmitgliedstaat mit dem Drittstaat, in dem die Gesellschaft, die Nutzungsberechtigte der Zinsen ist, ansässig ist, ein Abkommen geschlossen hat, ist für die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs ohne Belang.
4. Eine nationale Behörde muss, wenn sie eine Gesellschaft nicht als Nutzungsberechtigte von Zinsen anerkennen oder einen Rechtsmissbrauch nachweisen will, nicht bestimmen, wer ihrer Auffassung nach Nutzungsberechtigter der Zinsen ist.
5. Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/49 ist dahin auszulegen, dass eine als „société d’investissement en capital à risque“ (Wagniskapitalgesellschaft, SICAR) luxemburgischen Rechts zugelassene „société en commandite par actions“ (Kommanditgesellschaft auf Aktien, SCA) nicht als Unternehmen eines Mitgliedstaats im Sinne der Richtlinie, das in den Genuss der Befreiung gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie kommen kann, einzustufen ist, wenn – was festzustellen Sache des vorlegenden Gerichts ist – die Zinsen, die sie erhält, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens von der „impôt sur le revenu des collectivités“ in Luxemburg befreit sind.
6. In einem Fall, in dem die Regelung der Quellensteuerbefreiung der Richtlinie 2003/49 bei Zinsen, die eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft zahlt, wegen der Feststellung eines Betrugs oder Missbrauchs im Sinne von Art. 5 der Richtlinie nicht anwendbar ist, kann sich die betreffende Gesellschaft nicht auf die vom AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten berufen, um die im Quellenmitgliedstaat geltende Regelung über die Besteuerung der Zinsen anzugreifen.
In allen anderen Fällen ist Art. 63 AEUV dahin auszulegen, dass
– er einer nationalen Regelung, nach der eine gebietsansässige Gesellschaft bei Zahlung von Zinsen an eine gebietsfremde Gesellschaft von den Zinsen Quellensteuer einbehalten muss, bei Zahlung an eine ebenfalls gebietsansässige Gesellschaft hingegen nicht, grundsätzlich nicht entgegensteht, wohl aber einer nationalen Regelung, nach der eine gebietsansässige Gesellschaft bei Zahlung von Zinsen an eine gebietsfremde Gesellschaft Quellensteuer einbehalten muss, während eine gebietsansässige Gesellschaft, die Zinsen von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft erhält, in den ersten beiden Jahren der Besteuerung keine Körperschaftsteuervorauszahlung leisten muss, die Körperschaftsteuer auf diese Zinsen also erheblich später zahlen muss als der Quellensteuervorabzug erfolgt;
– er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die gebietsansässige Gesellschaft, die verpflichtet ist, von den Zinsen, die sie an eine gebietsfremde Gesellschaft zahlt, Quellensteuer einzubehalten, bei Verzug mit der Entrichtung dieser Steuer höhere Zinsen zu zahlen hat als bei Verzug mit der Zahlung der Körperschaftsteuer, die u. a. auf Zinsen zu entrichten ist, die von einer gebietsansässigen Gesellschaft an eine andere gebietsansässige Gesellschaft gezahlt werden;
– er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der, wenn eine gebietsansässige Gesellschaft Zinsen an eine gebietsfremde Gesellschaft zahlt und von den Zinsen Quellensteuer einzubehalten hat, unmittelbar mit dem in Rede stehenden Darlehen zusammenhängende Zinsaufwendungen der gebietsfremden Gesellschaft nicht berücksichtigt werden, während solche Aufwendungen bei einer gebietsansässigen Gesellschaft, die Zinsen von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft erhält, bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens abgezogen werden können.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4340707
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Gleichbehandlungsrecht wird, so habe ich zumindest das Gefühl, immer öfter auf Sachverhalte angewandt, die Männer betreffen. :tw

C-450/18 vom 12.12.2019
Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der nationalen sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, einen Anspruch auf eine Rentenzulage vorsieht, während Männer, die sich in der gleichen Situation befinden, keinen solchen Anspruch haben.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4344990
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Rückwirkung, Vertrauensschutz und Rechtskraftwirkung sind die Schlagworte, die mir zu dieser Entscheidung einfallen. Interessant ist, dass hier der Eingriff in die Position derjenigen zeitlich beschränkt wird, die von einer Diskriminierung begünstigt wurden.

C-171/18 vom 07.10.2019
Art. 119 EG-Vertrag (nach Änderung Art. 141 EG) ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Rentensystem eine mit dieser Vorschrift unvereinbare, sich aus der Festlegung je nach Geschlecht unterschiedlicher normaler Rentenalter ergebende Diskriminierung ohne sachliche Rechtfertigung durch eine Maßnahme beendet, mit der für den Zeitraum zwischen deren Ankündigung und deren Erlass das normale Rentenalter der Mitglieder dieses Systems rückwirkend an das normale Rentenalter der Angehörigen der bis dahin benachteiligten Gruppe angeglichen wird, selbst wenn diese Maßnahme nach nationalem Recht und nach dem Gründungsakt dieses Rentensystems zulässig ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4345883
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Interessant ist hier die Betrachtung der Entscheidungen der nationalen Gerichte, die zu unterschiedlichsten Ergebnissen kamen. Das Vorabentscheidungsersuchen war also quasi ein Hilferuf mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Rechtsprechung.

C-34/18 vom 21.03.2019
1. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. q des Anhangs dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass danach eine nicht im Einzelnen ausgehandelte Vertragsklausel, die auf eine Beweislastumkehr zulasten des Verbrauchers abzielt oder diese zur Folge hat, nicht allgemein und ohne weitere Prüfung als missbräuchlich zu qualifizieren ist.
2. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. q des Anhangs dieser Richtlinie ist zum einen dahin auszulegen, dass er keine Klausel erfasst, die darauf abzielt oder zur Folge hat, dass der Verbraucher Grund zu der Annahme hat, er sei selbst dann verpflichtet, alle seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, wenn er der Ansicht ist, dass bestimmte Leistungen nicht geschuldet würden, da diese Klausel unter Berücksichtigung der anwendbaren nationalen Regelung seine Rechtsstellung nicht beeinträchtigt, und zum anderen dahin, dass er eine Klausel erfasst, die darauf abzielt oder zur Folge hat, dem Verbraucher die Möglichkeit zu erschweren, Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen, wenn der geschuldete Restbetrag durch mit Beweiskraft ausgestattete notarielle Urkunde festgestellt wird, was dem Gläubiger die einseitige und endgültige Beendigung des Rechtsstreits ermöglicht.
3. Art. 5 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung nicht verlangt, dass der Gewerbetreibende Zusatzinformationen zu einer Klausel bereitstellt, die klar abgefasst ist, deren Rechtswirkungen sich aber nur durch Auslegung nationaler Rechtsvorschriften feststellen lassen, zu denen keine einheitliche Rechtsprechung besteht.
4. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. m des Anhangs dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er keine Vertragsklausel erfasst, die den Gewerbetreibenden ermächtigt, einseitig zu beurteilen, ob die dem Verbraucher obliegende Leistung vertragsgemäß war.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4347268
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Spannendes zu den Fristen und zum Post(en)laufrisiko finden sich in dieser Entscheidung. Ich wusste nicht, dass es eine zehntägige Entfernungsfrist gibt, die die zweimonatige Klagsfrist erweitert! Wenn diese Entfernungsfrist überschritten wird, dann muss man das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt nachweisen, und das ist, wie der Entscheidung zu entnehmen ist, gar nicht einfach, denn, dass die Poststücke im Schnitt in 10 Tagen überall aus den Mitgliedsstaaten beim EuGH einlangen, heißt noch lange nicht, dass es ein Zufall ist, wenn es länger dauert.

:n67: :old :eu

C-660/17 P vom 19.06.2019
1. Der Antrag auf Zulassung neuer Beweise wird zurückgewiesen.
2. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
3. RF trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4349743
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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harald wrote:
24 Aug 2016, 11:37
Der Bund hatte sich ja in einigen Verfahren mit altersdiskriminierenden Bestimmungen beim Entgelt auseinanderzusetzen, bis zur letzten Dienstrechtsnovelle hat der Bund immer den kürzeren gezogen, nach dieser sieht es aktuelle besser für den Bund aus (wobei es noch nicht heißt, dass dies von Seite der Höchstgerichte schon vollends erledigt ist).

Beim Überstellungsverlust hat der VwGH keine Revision zugelassen und somit indirekt keine (Argumente für eine) Altersdiskriminierung erkannt.

Jetzt haben es Beamte natürlich auch beim Ruhegenussanspruch versucht, Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres angerechnet zu bekommen. Da sieht der EuGH aber keine Diskriminierung.

EuGH vom 16.06.2016, Rs C-159/15
Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Anrechnung von Lehr- und Beschäftigungszeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Ruhegehaltsanspruchs und die Berechnung der Höhe seines Ruhegehalts ausschließt, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung bei einem Pensionssystem für Beamte die einheitliche Festsetzung einer Altersgrenze für die Mitgliedschaft und einer Altersgrenze für den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems gewährleisten soll.
Bei der ÖBB ist der Regierung eine Reparatur der Altersdiskriminierung gelungen, allerdings nicht zugunsten der Mitarbeiter:

C-482/16 vom 14.03.2018

Art. 45 AEUV sowie die Art. 2, 6 und 16 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegenstehen, durch die zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters, die in Anwendung einer nationalen Regelung entstanden ist, wonach bei der Einstufung von Arbeitnehmern eines Unternehmens in das Gehaltsschema nur die nach Vollendung des 18. Lebensjahrs erworbenen Dienstzeiten berücksichtigt werden, diese Altersgrenze rückwirkend und für alle diese Arbeitnehmer aufgehoben wird, wobei aber nur die Anrechnung der bei Unternehmen, die im selben Wirtschaftssektor tätig sind, erworbenen Erfahrung zulässig ist.

Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4399961
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

harald wrote:
24 Apr 2020, 21:50
harald wrote:
24 Aug 2016, 11:37
Der Bund hatte sich ja in einigen Verfahren mit altersdiskriminierenden Bestimmungen beim Entgelt auseinanderzusetzen, bis zur letzten Dienstrechtsnovelle hat der Bund immer den kürzeren gezogen, nach dieser sieht es aktuelle besser für den Bund aus (wobei es noch nicht heißt, dass dies von Seite der Höchstgerichte schon vollends erledigt ist).

Beim Überstellungsverlust hat der VwGH keine Revision zugelassen und somit indirekt keine (Argumente für eine) Altersdiskriminierung erkannt.

Jetzt haben es Beamte natürlich auch beim Ruhegenussanspruch versucht, Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres angerechnet zu bekommen. Da sieht der EuGH aber keine Diskriminierung.

EuGH vom 16.06.2016, Rs C-159/15
Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Anrechnung von Lehr- und Beschäftigungszeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Ruhegehaltsanspruchs und die Berechnung der Höhe seines Ruhegehalts ausschließt, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung bei einem Pensionssystem für Beamte die einheitliche Festsetzung einer Altersgrenze für die Mitgliedschaft und einer Altersgrenze für den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems gewährleisten soll.
Bei der ÖBB ist der Regierung eine Reparatur der Altersdiskriminierung gelungen, allerdings nicht zugunsten der Mitarbeiter:

C-482/16 vom 14.03.2018

Art. 45 AEUV sowie die Art. 2, 6 und 16 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegenstehen, durch die zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters, die in Anwendung einer nationalen Regelung entstanden ist, wonach bei der Einstufung von Arbeitnehmern eines Unternehmens in das Gehaltsschema nur die nach Vollendung des 18. Lebensjahrs erworbenen Dienstzeiten berücksichtigt werden, diese Altersgrenze rückwirkend und für alle diese Arbeitnehmer aufgehoben wird, wobei aber nur die Anrechnung der bei Unternehmen, die im selben Wirtschaftssektor tätig sind, erworbenen Erfahrung zulässig ist.

Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4399961
Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Frühling. Daher ist die Regierung - mal wieder - bei der Reparatur des altersdiskriminierenden Vorrückungssystems, hier bei Vertragsbediensteten, auf die Nase gefallen.

:doh :tw

C-24/17 vom 08.05.2019
1. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Bestandsvertragsbediensteten in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich die erste Einstufung dieser Vertragsbediensteten nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.
2. Das nationale Gericht ist, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, voraussetzt, dass den durch das alte Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Vertragsbediensteten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Vertragsbediensteten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle, und dass den diskriminierten Vertragsbediensteten infolgedessen ein finanzieller Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das der betreffende Vertragsbedienstete hätte beziehen müssen, wenn er nicht diskriminiert worden wäre, und dem tatsächlich von ihm bezogenen Gehalt gewährt wird.
3. Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach für die Bestimmung des Besoldungsdienstalters eines Vertragsbediensteten die Vordienstzeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder zu einem Gemeindeverband eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums, der Türkischen Republik oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft, zu einer Einrichtung der Europäischen Union, zu einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der Österreich angehört, oder zu ähnlichen Stellen zurückgelegt wurden, zur Gänze angerechnet werden, während alle anderen Vordienstzeiten nur im Ausmaß von bis zu zehn Jahren angerechnet werden und nur sofern sie einschlägig sind.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... 99961#ctx1

Den wahrscheinlichen Schlusspunkt hat dann die Beamtenübergangsregierung gesetzt:
Mehr Gehalt für 115.000 Bedienstete bei Bund, Post und Lehrern
Die Neueinstufung nach einer EU-Verpflichtung kann rückwirkend Nachzahlungen bis zum Mai 2016 bringen.
Quelle: https://www.wienerzeitung.at/nachrichte ... hrern.html

Ob dem wirklich so ist, wird man sehen, bisher fehlt noch die individuelle Umsetzung.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

CETA wurde hier im Forum schon öfters angeschnitten.

Jedoch wurde noch nicht dokumentiert, wieso es mittlerweile so ruhig darum geworden ist.

Es gab nämlich ein EuGH Gutachten!

Gutachten 1/17 vom 30.04.2019
Kapitel acht Abschnitt F des am 30. Oktober 2016 in Brüssel unterzeichneten umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits ist mit dem Primärrecht der Europäischen Union vereinbar.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4399961

Interessant ist, dass der EuGH kein Problem sieht, da das innerstaatliche Recht des Mitgliedsstaates auf Tatsachenbasis verwendet wird und daher nicht in das Auslegungsmonopol des EuGH eingegriffen wird. Find ich seltsam die Argumentation.

Wir lernen: Der Beitritt zur EMRK ist nicht möglich, obwohl in den Verträgen vorgesehen, und da geht's um Menschenrechte, aber ein indirektes Abtreten des Auslegungsmonopols ist doch irgendwie zulässig, wenn es ums Geld und Investoren geht, :(
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Weil ich sehr viel zum Thema Fluggastrechte hier poste. Meistens handeln da die Fluglinien stur und kundenunfreundlich.

Hin und wieder scheinen diese Fluglinien aber abzusehen, dass sie kein Land gewinnen können und die Verfahren werden beim EuGH wegen Beschwerdelosstellung des Klägers im Ausgangsverfahren und Rücknahme des Vorabentscheidungsersuchens eingestellt, bevor es zu einer Entscheidung kommt.

Hier ein Fall, über den ich gestolpert bin:

C‑186/17 vom 02.08.2018
Die Rechtssache C‑186/17 wird im Register des Gerichtshofs gestrichen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4404846

Verfolgt hatte ich das Verfahren wegen den Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 06.06.2018:
Ein Ausgleichsanspruch besteht nach Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 gegen ein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“, wenn ein Fluggast infolge einer relativ geringen Verspätung bei der Ankunft des vorangegangenen Fluges einen direkten Anschlussflug verpasst und dies eine Verspätung von drei Stunden oder mehr am Endziel zur Folge hat, auch wenn die betreffenden Flüge von verschiedenen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden und die Buchung über einen Reiseveranstalter erfolgte, der die Buchung der gesamten Flugreise über ein anderes (vertragliches) Luftfahrtunternehmen vornahm, das keine Flüge auf einer Teilstrecke der Reise ausführte.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4404846

Mittlerweile wurde die Rechtslage durch eine Entscheidung betreffend eine andere, bis zum Ende borniert bleibende Airline geklärt (Entscheidung sollte sich hier von mir zitiert finden).
--Harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Eine interessante Entscheidung zum Thema Behindertendiskriminierung. Überbrückungshilfe ist nicht bis zum Bezug der vorgezogenen Altersrente wegen Behinderung zu leisten, sondern bis zum Bezug der gesetzlichen Altersrente eines Otto-Normalbürgers.

C‑312/17 vom 19.09.2018
Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens Bestimmungen eines Tarifvertrags entgegensteht, die vorsehen, dass die Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe, die mit dem Ziel gewährt wird, einem Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz verloren hat, einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewährleisten, bis er zum Bezug einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung berechtigt ist, endet, wenn dieser Arbeitnehmer die Voraussetzungen für den Bezug einer vorgezogenen Altersrente für schwerbehinderte Menschen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4404846
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Der Motor des Binnenmarktes stottert in diesem Fall bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Als Arbeitsloser kann man für die Arbeitssuche in einem anderen Staat nach VO 883/2004 die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung für 3 Monate exportieren. Sind diese 3 Monate ausgeschöpft, gibt es einen Passus, der einen weiteren Export für nochmals 3 Monate dem Text nach ermöglicht.

Im Verfahren ging es um die Auslegung des Textes, ob dieser Passus für die zweiten 3 Monate nach dem Muster "grundsätzlich nein, außer ...." (Ansicht des Generalanwalts) oder nach dem Muster "grundsätzlich ja, außer..." (Ansicht der Kommission) richtet. Der EuGH ist dem Generalanwalt gefolgt.

C-551/16 vom 21.03.2018
Art. 64 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, die es dem zuständigen Träger zur Pflicht macht, grundsätzlich jeden Antrag auf Verlängerung des Zeitraums für den Export von Leistungen bei Arbeitslosigkeit über drei Monate hinaus abzulehnen, es sei denn, nach Ansicht dieses Trägers würde die Ablehnung des Antrags zu einem unangemessenen Ergebnis führen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4404846
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Eine verheiratete Person unterzieht sich einer Geschlechtsumwandlung. Das Vereinigte Königreich bestätigt diese jedoch nicht, da für eine solche Bestätigung nämlich auch die Aufhebung der Ehe verlangt wird. Dies möchten beide verheirateten Partner jedoch nicht und zwar aus religiösen Gründen. Mit 60. stellt die Person nun einen Rentenantrag (also früher als dies mit dem ursprünglichen Geschlecht dieser Person möglich war). Die Behörde lehnt, mangels Bestätigung über die "volle" Geschlechtsumwandlung ab.

Der EuGH kommt zum Ergebnis, dass das eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist:

C‑451/16 vom 26.06.2018
Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, insbesondere ihr Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich und mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, nicht nur physische, soziale und psychische Kriterien erfüllen muss, sondern auch nicht mit einer Person des Geschlechts, das sie infolge der Geschlechtsumwandlung erworben hat, verheiratet sein darf, wenn sie eine staatliche Ruhestandsrente ab dem für Angehörige des erworbenen Geschlechts geltenden gesetzlichen Rentenalter in Anspruch nehmen möchte.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4404846

Ein ehemaliger Mann, der dem nationalen Pensionssystem (und zusätzlich der eigenen Religion) ein Schnippchen schlägt.

Rechtlich spannend, moralisch fragwürdig. Ich hoffe die Person ist von Ihrer neuen Geschlechterrolle überzeugt, denn mit den religiösen Grundsätzen der eigenen Religion hat sie es anscheinend nicht so (ich gehe von der Mehrheitsreligion in UK aus).
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Anrechnung von Vordienstzeiten auf der Uni hängen von der Gleichwertigkeit der Tätigkeit ab:

C-703/17 vom 10.10.2019
Art. 45 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung einer Universität eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der, wenn es um die Festlegung der Gehaltseinstufung eines Arbeitnehmers als Senior Lecturer/Postdoc an dieser Universität geht, dessen in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Vordienstzeiten nur im Ausmaß von insgesamt höchstens vier Jahren angerechnet werden, entgegensteht, wenn die betreffende Betätigung gleichwertig oder gar identisch mit derjenigen war, zu der der Arbeitnehmer im Rahmen dieser Tätigkeit als Senior Lecturer/Postdoc gehalten ist.
Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer solchen Regelung nicht entgegenstehen, wenn die frühere Betätigung in diesem anderen Mitgliedstaat nicht gleichwertig war, sondern für die Ausübung der fraglichen Tätigkeit eines Senior Lecturers/Postdocs schlicht nützlich ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4404846
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für eine Fonds GmbH & Co KG, was sagt einem das als Jurist:

Finger weg, es kann nur grindig werden, da oft Verluste vorprogrammiert sind.

Aber nun zur Entscheidung des EuGH, in der es um die Rechtswahlklausel ging. Die Klausel wollte deutsches Recht, EuGH hat nein gesagt:

C‑272/18 vom 03.10.2019
1. Art. 1 Abs. 2 Buchst. e des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) sind dahin auszulegen, dass vertragliche Pflichten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die ihren Ursprung in einem Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft haben, nicht vom Anwendungsbereich des Übereinkommens und der Verordnung ausgenommen sind.
2. Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 593/2008 sind dahin auszulegen, dass ein Treuhandvertrag, aufgrund dessen die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen in dem Staat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vom Gebiet eines anderen Staates aus, d. h. aus der Ferne, zu erbringen sind, nicht unter den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausschluss fällt.

3. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzmitgliedstaats der Kommanditgesellschaft anwendbar ist, missbräuchlich im Sinne der genannten Bestimmung ist, wenn sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaats anzuwenden, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 593/2008 auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4404846
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Wer kann sich an den Fall Amanda Knox erinnern? Zur Auffrischung:

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/ ... 72464.html

Weil da eine EGMR Entscheidung zitiert ist, erlaube ich mir die Zitierung der JKU Newsletter Zusammenfassung:
24.01.2019, Beschwerde Nr 76577/13, Knox / Italien Verletzung von Art 3 EMRK (Folterverbot und Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) und Verletzung von Art 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren); Verurteilung der amerikanischen Austauschstudentin Amanda Knox (Bf) wegen Verleumdung; die Bf hat einen Barmann des Mordes an ihrer Mitbewohnerin verdächtigt; keine Untersuchung der Anschuldigung der Bf, während der Aussage von der Polizei unter Druck gesetzt worden zu sein; Verletzung von Art 3 EMRK; keine ausreichende Begründung der nationalen Behörden, warum die Bf bei dem Verhör durch die Polizei keinen Anwalt und keinen Dolmetscher gestellt bekommen hat; Verletzung von Art 6 EMRK; die Bf erhielt eine Entschädigung iHv EUR 10.400,--
Quelle: https://www.jku.at/fileadmin/gruppen/14 ... 4-2019.pdf

Was interessant ist: wegen Verleumdung wurde sie verurteilt, das ist mir damals entgangen.

Ansonsten finde ich seltsam, dass man sagt, man reist nie wieder in ein bestimmtes Land und tut es dann doch (egal aus welchem Grund). :doh
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Interessante Entscheidung, zumal das bis Ende 2013 existierende Bundesvergabeamt die Faxgeräte zum Ende der Parteienverkehrszeiten immer abgeschaltet hatte. Wobei das ja ein aufklärbarer Grund wäre, also vielleicht wäre das damals sogar zulässig gewesen? :n67:

EGMR Tence, 31. 5. 2016, 37242/14
Das Urteil des EGMR vom 31. 5. 2016 im Fall Tence betrifft eine Verletzung des Art 6 EMRK durch eine übermäßig strenge Handhabung von Vorschriften über die Einbringung von Rechtsmitteln. Die wesentlichen Aussagen des Urteils lauten:
Das Recht auf Zugang zu einem Gericht ist nicht absolut, sondern kann Beschränkungen unterworfen werden; die Staaten haben dabei einen Gestaltungsspielraum, doch dürfen die Beschränkungen nicht den Wesensgehalt des Rechts beeinträchtigen und müssen im Hinblick auf die verfolgten Ziele verhältnismäßig sein. Fristregelungen für Rechtsmittel sind legitim, sie dienen der Rechtspflege und der Rechtssicherheit. Die Parteien haben die Folgen für die Verspätung ihrer Eingaben zu tragen, soweit ihnen diese zurechenbar ist. – Im gegenständlichen Fall war ein Rechtsmittel – zulässigerweise – mit Fax eingebracht worden, wobei es noch innerhalb der Frist abgeschickt wurde, aber vom Gericht nicht ausgedruckt wurde, ohne dass die Gründe dafür aufklärbar waren. Dieser Umstand lag nicht mehr im Einflussbereich des Einschreiters. Obwohl eine Sendebestätigung über die rechtzeitige Absendung eines Dokuments vorgelegt wurde, verlangte das Gericht den Beweis über den Inhalt dieses Dokuments, was faktisch unmöglich war. Die Auferlegung der gesamten Beweislast hinsichtlich des Inhalts der Eingabe war übermäßig streng und verletzte Art 6.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Bei Fahrpreisermäßigungen gibt es Möglichkeiten diese so auszugestalten, dass sie nicht allen Unionsbürgern zukommen.

Eine Fahrpreisermässigung in der Form, dass dem Studierenden ein Fahrausweis ausgestellt wird, der ihm gratis oder zu ermäßigtem Fahrpreis Zugang zu den öffentlichen Verkehrsmitteln gewährt, und die er nicht zurückzahlen muss, wenn er sein Studium innerhalb von zehn Jahren abschließt weist Merkmale eines Stipendiums oder eines Studiendarlehens auf, je nachdem, ob der Studierende sein Studium innerhalb einer zehnjährigen Frist abschließt oder nicht. Daher ist eine solche Fahrpreisvergünstigung als „in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens“ im Sinne von Art 24 Abs 2 der RL gewährt anzusehen. Dabei der Umstand ohne Belang, dass die Fahrpreisvergünstigung grundsätzlich in Form eines Fahrausweises, dh nicht in bar, sondern als Sachleistung gewährt wird. Es ist weder dem Wortlaut von Art 24 Abs 2 noch dem rechtlichen Rahmen, in den diese Vorschrift eingebettet ist, zu entnehmen, dass die MS gezwungen wären, Studienbeihilfen nur in Form von Bargeld zu gewähren. Im Gegenteil kann der betreffende Mitgliedstaat dadurch, dass er eine solche Vergünstigung als Sachleistung gewährt, gegebenenfalls zum einen die Kosten senken, die mit der Gewährung dieser Vergünstigung verbunden sind, indem er die Fahrpreise mit dem Dienstleistungserbringer aushandelt, und zum anderen sicherstellen, dass der wirtschaftliche Vorteil, der durch diese Vergünstigung entsteht, für seinen bestimmungsgemäßen Zweck verwendet wurde. Der MS darf sich daher auf die in Art 24 Abs 2 vorgesehene Ausnahmeregelung berufen, um diese Vergünstigung vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen zu verwehren.

C-233/14 vom 02.06.2016
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Europäische Kommission trägt die Kosten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=7555980
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Namensänderungen, um so einen Adelstitel zu führen, sind begehrt. Es gibt Länder, die aus geschichtlichen Gründen jedoch Adelstitel verbieten. In Europa ändern diese Personen dann in einem Land, wo dies zulässig ist, den Namen ergänzt um Bestandteile eines Adelstitels und versuchen dann den Namen im Land anerkennen zu lassen, in dem diese Titel verboten sind.

Doch der EuGH setzt der Anerkennung auch hier Grenzen, es geht um den Namen Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff und die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz:

C-438/14 vom 02.06.2016
Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet sind, den Nachnamen eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats anzuerkennen, wenn dieser auch die Angehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, in dem er diesen Namen erworben hat, den er frei gewählt hat und der mehrere nach dem Recht des erstgenannten Mitgliedstaats nicht zulässige Adelsbestandteile enthält, sofern, was zu überprüfen dem vorlegenden Gericht zukommt, erwiesen ist, dass eine solche Ablehnung der Anerkennung in diesem Zusammenhang insoweit aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt ist, als sie geeignet und erforderlich ist, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger des besagten Mitgliedstaats vor dem Gesetz gewahrt wird.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=7557107
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Österreich hat durch eine Verurteilung wegen übler Nachrede gegen Tote die Menschenrechte nicht verletzt.

Es ging um eine verstorbene Innenministerin (Liese Prokop) und einen Mitarbeiter von Asyl in Not, der ziemlich derb nachgetreten hat. Details bitte der Entscheidung zu entnehmen, ich möchte das nicht zitieren.
(49) In Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Sanktion stellt der GH fest, dass der Bf. zu einer Geldstrafe von € 1.200,– verurteilt wurde, wobei die Hälfte der Geldstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dieser Betrag erscheint unter Einbeziehung der Umstände, unter welchen die Äußerungen des Bf. gemacht und verbreitet wurden, als angemessen. Daher ist die Strafe nicht unverhältnismäßig.
(50) Daraus folgt, dass keine Verletzung von Art. 10 EMRK stattgefunden hat (einstimmig).
EGMR Genner, 12.01.2016, 55495/08

Es gibt da leider immer wieder Einzelfälle, die in diesem Bereich persönlich an- und untergriffig werden. :( In anderen Rechtsbereichen findet man solches Verhalten glücklicherweise nicht so gehäuft.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Sagt man im Verwaltungsstrafverfahren, man war nicht da, ohne irgendwelche Beweise vorzulegen, darf auch aus dem Schweigen des Beschwerdeführers ein Schluss gezogen werden und es handelt sich um kein Menschenrechtsverletzung.

EGMR Unzulässigkeitsbeschluss in der Rechtssache Krauss, 06.02.2018, 40607/12
(32) Der GH befindet, dass die österreichischen Behörden sorgfältig alle ihnen vorliegenden Beweise und Informationen beurteilten und dabei den Grundsatz der freien Beweiswürdigung berücksichtigten, der im österreichischen System vorgesehen ist. Da die Bf. mehrere Gelegenheiten hatte, Beweise vorzulegen, ohne sich selbst zu belasten, bestanden ausreichende Garantien, um ein faires Verfahren zu gewährleisten. Daher scheint
es nicht, dass die Entscheidung willkürlich war, sondern dass die Behörden auf der Basis der vorliegenden Beweise und der nicht überzeugenden Aussagen der Bf. zum Schluss kamen, dass die Bf. das Fahrzeug zur betreffenden Zeit selbst gelenkt hatte, und sie daher des begangenen Delikts für schuldig befanden.
(33) Folglich sieht der GH keinen Anschein einer Verletzung der Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK, weder im Hinblick auf das Recht sich nicht selbst zu belasten noch im Hinblick auf das Recht zu schweigen oder betreffend das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung. Daraus geht hervor, dass die Beschwerde offensichtlich unbegründet [...] und daher [als unzulässig] zurückzuweisen ist (einstimmig).
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

10 Millionen Euro Entschädigung für Georgien durch den EGMR, auf so eine Entscheidung muss hier hingewiesen werden. Es geht um die kollektive Ausweisung 1.500 georgischer Staatsbürger durch Russland, dabei kam es zu zahlreichen Konventionsverletzungen:

EGMR Georgien/Russland, 13255/07

Quelle: https://civil.ge/archives/275298
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Kopftuchverbot im Gerichtssaal für Prozessbeteiligte, welches zum Ausschluss der Dame führte, ist eine Menschenrechtsverletzung. So weit, so klar. Interessant ist, dass die Rechtfertigung für die Regelung nur in der "Öffentlichen Ordnung" vorgebracht wurde. Der EGMR deutet an, dass im Falle des Vorbringens von "Laizität" das Verfahren anders enden hätte können:

EGMR vom 18.09.2018, Lachiri, 3413/09

Das macht die Diskussion bei uns in Österreich über das Verbot religiöser Symbole in Gerichtssälen, doppelt spannend. Denn Österreich hat ein Konkordat mit der katholischen Kirche und das Vorhandensein von Kreuzen in Gerichtssälen ist historisch gewachsen. Lässt man also Parteien Kopftuch tragen, könnte man argumentieren, dass nichts gegen das Kreuz im Gerichtssaal aus Sicht der EMRK spricht.

Umgekehrt ist das Verbot eines Kopftuches für eine Rechtspraktikantin bedenklich, weil dann ist auch das Kreuz bald Geschichte, denn es hilft die Berufung auf Laizität nur, wenn man sie überall im öffentlichen Bereich durchzieht.

Siehe zum Fall Rechstpraktikantin, der eingestellt wurde: https://www.nachrichten.at/panorama/rec ... 98,3195722
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Personen, die regelmäßig per Flugzeug reisen, haben immer wieder folgendes Phänomen gesehen:

Der Flug Wien - Klagenfurt ist teurer als der Flug Linz-Wien-Klagenfurt.

Was würde also als Wiener näher liegen als das zweite Ticket zu buchen, jedoch nur in Wien ins Flugzeug zu steigen und dann in Wien auch wieder auszusteigen.

Die Fluglinien haben da natürlich was dagegen.

Das führte zu folgender Entscheidung:

OGH 4Ob164/12i vom 17.12.2012
Eine Klausel, wonach bei Nichtnutzung eines Flugcoupons in der angegebenen Reihenfolge, ein Aufpreis für die tatsächlich beabsichtigte Reiseroute verrechnet wird, ist sachlich gerechtfertigt, soweit sie nur jene Fälle umfasst, in denen der Fluggast von vornherein die Nutzung eines von mehreren Flügen eines Kombinationsangebots beabsichtigt und so das Tarifsystem bewusst umgeht.

Beisatz: Soweit diese Klausel jedoch auch Kunden belastet, die zunächst das Kombinationsangebot nutzen wollten und sich erst später - etwa wegen des Versäumens oder der Verspätung eines Zubringerfluges oder wegen einer Änderung ihrer Reisepläne - anders entschließen, ist sie gröblich benachteiligend. (T1)
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

2 Verwaltungsgerichte, zwei Meinungen, ist doch klar unter Juristen:

LVwG NÖ vom 09.04.2019, LVwG-S-1932/001-2018

Die Beschwerde wurde abgewiesen, die Revision zugelassen. Der Spruch des Ausgangsbescheides lautetet im spannenden Teil:
Sie haben … für die Berechnung des Fahrpreises nach Kilometer ein ungeeichtes Messgerät zur Berechnung der Länge, nämlich die Applikation "***" auf einem Mobiltelefon verwendet, obwohl die Verwendung eines Messgerätes im rechtsgeschäftlichen Verkehr der Eichpflicht unterliegt.
VwG Wien vom 08.11.2018, VGW-001/059/6284/2018

Sachverhalt war ähnlich wie bei NÖ.

Der Beschwerde wurde stattgegeben, die Revision zugelassen.

VwGH Entscheidung habe ich keine gefunden.

Weiß wer, welche App diese "C. App" ist?
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

AirBnB Vermieter fallen laut Entscheidung des LVwG Tirol vom 25.02.2019, LVwG-2018/15/1757-4, unter das Gewerberecht:
Das Anbieten von Wohnungen auf Vermittlungsplattformen unterliegt den Bestimmungen der Gewerbeordnung, zumal von einer vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes ausgenommenen reinen Vermietung von Wohnraum nicht mehr die Rede sein kann: Bedingt durch den hohen Verwaltungsaufwand durch den ständigen Wechsel der Gäste, das Anbieten der Wohnung über das Internet an einen unbestimmten Personenkreis, die Vermietung nicht nur einer Wohnung sondern auch der dazugehörenden Ausstattung sowie der Verrechnung eines Pauschalpreises an statt einer Aufschlüsselung in Miet-, Betriebs-, und Energiekosten wird das Gastgewerbe iSd § 111 Abs 1 Z 1 GewO 1994 ausgeübt.
Die Entscheidung wurde erst vor kurzem vom VwGH bestätigt:

VwGH vom 03.03.2020, Ro 2019/04/0019: https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe? ... 0200303J00
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

harald wrote:
26 Apr 2020, 21:09
Namensänderungen, um so einen Adelstitel zu führen, sind begehrt. Es gibt Länder, die aus geschichtlichen Gründen jedoch Adelstitel verbieten. In Europa ändern diese Personen dann in einem Land, wo dies zulässig ist, den Namen ergänzt um Bestandteile eines Adelstitels und versuchen dann den Namen im Land anerkennen zu lassen, in dem diese Titel verboten sind.

Doch der EuGH setzt der Anerkennung auch hier Grenzen, es geht um den Namen Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff und die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz:

C-438/14 vom 02.06.2016
Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet sind, den Nachnamen eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats anzuerkennen, wenn dieser auch die Angehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, in dem er diesen Namen erworben hat, den er frei gewählt hat und der mehrere nach dem Recht des erstgenannten Mitgliedstaats nicht zulässige Adelsbestandteile enthält, sofern, was zu überprüfen dem vorlegenden Gericht zukommt, erwiesen ist, dass eine solche Ablehnung der Anerkennung in diesem Zusammenhang insoweit aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt ist, als sie geeignet und erforderlich ist, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger des besagten Mitgliedstaats vor dem Gesetz gewahrt wird.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=7557107
Österreichs Regelung ist etwas diffiziler. Die Führung des Titels "von" als Namensbestandteil ist untersagt. Andere Bestandteile sind nur untersagt, wenn diese historisch als Bezug zum Adel verwendet wurden.

VfGH vom 02.03.2020, E 4590/2019-9
Ob es sich im konkreten Fall beim Namen der Beschwerdeführerin um eine Adelsbezeichnung handelt, die tatsächlich einen historischen Adelsbezug aufweist, hat das Landesverwaltungsgericht Salzburg, ausgehend von seiner Rechtsauffassung, nicht geprüft. Dies wird im fortgesetzten Verfahren allenfalls nachzuholen sein.
Quelle: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfg ... 590_00.pdf
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Vignettensünder können sich unter Umständen bei der Verhängung mehrerer Strafen in kurzer Abfolge freuen:

LVwG Oö 21.04.2020, LVwG-400435
Bundesstraßen-MautG; VStG; wenn dem Rechtsmittelwerber hier – zusammengefasst – angelastet wurde, dass er mit seinem KFZ am 2., am 7. und am 15.05.2019 jeweils ohne gültige Klebe- bzw Digitalvignette mautpflichtige Autobahnen benutzt hat, so liegt eine Reihe rw Einzelhandlungen vor, die aufgrund der Gleichartigkeit der Begehungsform und der Ähnlichkeit der äußeren Begleitumstände iRe noch erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs sowie einer diesbezüglichen gesamtheitlichen Sorgfaltswidrigkeit des Täters zu einer Einheit zusammentreten; dazu kommt, dass es der Straftatbestand des § 20 Abs 1 Bundesstraßen-MautG, indem er explizit auf die Verpflichtung einer zeitabhängigen Maut abstellt, auf Grund seiner textlichen Fassung nicht erfordert, jede einzelne Handlung als selbständige Tat zu bestrafen, sondern infolge seiner pauschalierenden Tatbildformulierung auch den Schluss zulässt, dass für die Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit mehrere vor-sätzlich oder fahrlässig begangene Einzeltaten nur als ein Delikt anzusehen sind; es liegt sohin ein fahrlässig begangenes fortgesetztes Delikt vor, sodass eine kumulative Bestrafung des Rechtsmittelwerbers unzulässig war
Quelle: https://www.jku.at/fileadmin/gruppen/13 ... 20__2_.pdf
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

harald wrote:
24 Apr 2020, 23:30
Anrechnung von Vordienstzeiten auf der Uni hängen von der Gleichwertigkeit der Tätigkeit ab:

C-703/17 vom 10.10.2019
Art. 45 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung einer Universität eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der, wenn es um die Festlegung der Gehaltseinstufung eines Arbeitnehmers als Senior Lecturer/Postdoc an dieser Universität geht, dessen in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Vordienstzeiten nur im Ausmaß von insgesamt höchstens vier Jahren angerechnet werden, entgegensteht, wenn die betreffende Betätigung gleichwertig oder gar identisch mit derjenigen war, zu der der Arbeitnehmer im Rahmen dieser Tätigkeit als Senior Lecturer/Postdoc gehalten ist.
Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer solchen Regelung nicht entgegenstehen, wenn die frühere Betätigung in diesem anderen Mitgliedstaat nicht gleichwertig war, sondern für die Ausübung der fraglichen Tätigkeit eines Senior Lecturers/Postdocs schlicht nützlich ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4404846
Gilt auch für Lehrer:

C-710/18 vom 23.04.2020
Art. 45 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für die Ermittlung der Höhe des Entgelts eines als Lehrer bei einer Gebietskörperschaft beschäftigten Arbeitnehmers die Vordienstzeiten, die von diesem Arbeitnehmer bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen anderen Arbeitgeber als dieser Gebietskörperschaft zurückgelegt wurden, nur im Umfang von insgesamt bis zu drei Jahren berücksichtigt, wenn diese Tätigkeit derjenigen gleichwertig ist, die der Arbeitnehmer im Rahmen dieser Tätigkeit als Lehrer auszuüben hat.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=7101748
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Intransparente Preisgestaltung bei der Bildung des Flugpreises, ist nur dann erlaubt, wenn Ausnahmeregelungen dies decken:

C-28/19 vom 23.04.2020
Art. 23 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft ist dahin auszulegen, dass die Check-in-Gebühren, deren Zahlung mangels einer alternativen kostenfreien Art des Check-ins unvermeidbar ist, die Mehrwertsteuer auf die Preise für Inlandsflüge sowie die Verwaltungsgebühren für Käufe mit einer anderen als der vom Luftfahrtunternehmen bevorzugten Kreditkarte unvermeidbare und vorhersehbare Preisbestandteile im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung sind. Hingegen ist Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 dahin auszulegen, dass die Check-in-Gebühren, deren Zahlung durch den Rückgriff auf eine kostenfreie Art des Check-ins vermieden werden kann, sowie die Mehrwertsteuer auf fakultative Zusatzleistungen für Inlandsflüge fakultative Zusatzkosten im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 4 dieser Verordnung sind.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=7101748
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

O tempora, o mores!

Die Bejagung der Waldschnepfe hat es doch glatt zum EuGH geschafft und es wurde eine Pflichtverletzung Österreichs konstatiert:

C-161/19 vom 23.04.2020
1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten verstoßen, dass sie die Frühjahrsjagd auf die männliche Waldschnepfe (Scolopax rusticola) im Land Niederösterreich (Österreich) erlaubt hat.
2. Die Republik Österreich trägt die Kosten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=7101748

Der NÖ Jagdverband nennt die Entscheidung "nicht nachvollziehbar".

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS ... ollziehbar :tw :shock:
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Der Generalanwalt hat spannende Schlussausführungen zur Arbeitskräfteüberlassung und Rechtsmissbrauch gemacht:

C-681/18 vom 23.04.2020
73. Ich schlage dem Gerichtshof vor, auf die vom Tribunale ordinario di Brescia (Gericht von Brescia, Italien) vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:
– Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 steht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die a) keine Beschränkungen für aufeinanderfolgende Überlassungen eines Arbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen vorsehen; b) die Rechtmäßigkeit des Einsatzes befristeter Arbeitnehmerüberlassung nicht von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung abhängig machen; und c) nicht die Voraussetzung vorübergehender Produktionserfordernisse des entleihenden Unternehmens als Bedingung für die Rechtmäßigkeit des Einsatzes dieser Art des Arbeitsvertrags vorsehen.
– Aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Arbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen, die zusammengenommen eine Dauer überschreiten, die vernünftigerweise als „vorübergehend“ betrachtet werden kann, und die keinen unbefristeten Arbeitsvertrag zwischen dem Leiharbeitsunternehmen und dem Leiharbeitnehmer betreffen, umgehen den Wesensgehalt der Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 und kommen einem Missbrauch dieser Form des Beschäftigungsverhältnisses gleich. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu beurteilen, ob diese Umstände im jeweiligen Einzelfall vorliegen.
– Liegt ein Missbrauch aufeinanderfolgender Überlassungen vor, verlangen die Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit und der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung, dass das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts alles tun muss, was in seiner Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie 2008/104 zu gewährleisten, indem der fragliche Missbrauch geahndet wird und die Folgen des Verstoßes gegen das Unionsrecht beseitigt werden.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=7103393
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Aus dieser EuGH Entscheidung lernen wir, dass es in Italien eine Finanztransaktionssteuer gibt:

C-565/18 vom 30.04.2020
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die Finanztransaktionen mit derivativen Finanzinstrumenten einer Steuer unterwirft, die auf den Parteien des Geschäfts unabhängig vom Ort des Geschäftsabschlusses oder vom Sitzstaat dieser Parteien und des etwaigen an der Durchführung dieses Geschäfts beteiligten Vermittlers lastet, sofern diesen Instrumenten als Basiswert ein Titel zugrunde liegt, der von einer Gesellschaft mit Sitz in diesem Mitgliedstaat emittiert wurde. Die Verwaltungs- und Berichtspflichten, die mit dieser Steuer einhergehen und Gebietsfremden obliegen, dürfen allerdings nicht über das hinausgehen, was für die Erhebung dieser Steuer erforderlich ist.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5581006

Viele Entscheidungen mit dem Suchwort gibt es beim EuGH noch nicht:

http://curia.europa.eu/juris/documents. ... id=8475435
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Verweigerung der Beförderung der Fluglinie wegen mangelnder Reisedokumente in Kombination mit einem Haftungsausschluss in den AGB für Schadenersatz, das geht nicht, sagt der EuGH:

C‑584/18 vom 30.04.2020
1. Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 565/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen aus den Außengrenzen auf der Grundlage der einseitigen Anerkennung bestimmter Dokumente durch Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Zypern für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet oder den geplanten Aufenthalt in diesem für eine Dauer von nicht mehr als 90 Tagen binnen eines Zeitraums von 180 Tagen als ihren einzelstaatlichen Visa gleichwertig und zur Aufhebung der Entscheidungen Nr. 895/2006/EG und Nr. 582/2008/EG ist dahin auszulegen, dass er unmittelbare Wirkung entfaltet und zugunsten von Drittstaatsangehörigen Rechte begründet, auf die sich diese gegenüber dem Bestimmungsmitgliedstaat berufen können, insbesondere das Recht, ohne Visum in diesen Mitgliedstaat einreisen zu dürfen, wenn sie im Besitz eines der Visa oder Aufenthaltstitel sind, die in der Liste der Dokumente aufgeführt sind, zu deren Anerkennung sich der betreffende Mitgliedstaat gemäß dem genannten Beschluss verpflichtet hat.
2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein Luftfahrtunternehmen, das selbst oder durch seine bevollmächtigten und beauftragten Vertreter am Flughafen des Abflugmitgliedstaats einem Fluggast unter Berufung darauf die Beförderung verweigert, dass die Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats dem Fluggast die Einreise verweigerten, nicht als eine dem betreffenden Staat zuzurechnende Einrichtung, die als solche handelt, anzusehen ist, so dass sich der betroffene Fluggast gegenüber diesem Unternehmen vor einem Gericht des Abflugmitgliedstaats nicht auf den Beschluss Nr. 565/2014 berufen kann, um wegen der Verletzung seines Rechts, in den Bestimmungsmitgliedstaat einreisen zu dürfen, ohne im Besitz eines von diesem ausgestellten Visums zu sein, Schadensersatz geltend zu machen.
3. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass es einem Luftfahrtunternehmen verbietet, einem Drittstaatsangehörigen die Beförderung unter Berufung darauf zu verweigern, dass die Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats ihm die Einreise in dessen Hoheitsgebiet verweigerten, ohne dass dem Drittstaatsangehörigen zuvor eine schriftliche, begründete Entscheidung über die Einreiseverweigerung mitgeteilt wurde.
4. Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, insbesondere deren Art. 2 Buchst. j ist dahin auszulegen, dass die Weigerung eines Luftfahrtunternehmens, einen Fluggast zu befördern, weil dieser unzureichende Reiseunterlagen vorgelegt habe, diesem Fluggast den nach dieser Verordnung vorgesehenen Schutz für sich genommen nicht entzieht. Im Fall einer Klage dieses Fluggastes hat das zuständige Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob für diese Weigerung vertretbare Gründe nach Maßgabe dieser Bestimmung vorliegen.
5. Die Verordnung Nr. 261/2004, insbesondere ihr Art. 15 ist dahin auszulegen, dass dieser einer Klausel in den allgemeinen, vorab veröffentlichten Betriebs- und/oder Dienstleistungsbedingungen eines Luftfahrtunternehmens entgegensteht, die die Haftung des Luftfahrtunternehmens für den Fall, dass einem Fluggast die Beförderung wegen angeblich unzureichender Reiseunterlagen verweigert wird, beschränkt oder ausschließt und dem Fluggast damit einen etwaigen Schadensersatzanspruch vorenthält.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5581006
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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So gerne ich hier über Airlines berichte, die die Zahlung nach Fluggastrechte VO möglichst lange hinauszögern und so für vorhersehbare Nonanet EuGH Entscheidungen sorgen, so darf es mir auch zur Abwechslung Vergnügen sein, über bornierte Kunden zu berichten, die vor dem EuGH auf die Nase fallen. In diesem Fall gilt nämlich eindeutig: Gier frisst Hirn! Aufgrund der Umbuchung kam der Passagier sogar 20 Minuten früher an!

C‑191/19 vom 30.04.2020
Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, insbesondere ihr Art. 7, ist dahin auszulegen, dass einem Fluggast, der für einen Flug mit Anschlussflug über eine einzige Buchung verfügt, keine Ausgleichszahlung zusteht, wenn seine Buchung gegen seinen Willen geändert wurde mit der Folge, dass er den ersten Teilflug seiner gebuchten Beförderung nicht antrat, obwohl dieser Flug durchgeführt wurde, und dass er auf einen späteren Flug umgebucht wurde, der es ihm ermöglichte, den zweiten Teilflug seiner gebuchten Beförderung anzutreten und damit sein Endziel zur planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=5581006
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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harald wrote:
16 Apr 2020, 22:39
Oft finde ich es schlecht, dass die Briten die EU verlassen werden, manchmal finde ich es gut, wie bei dieser Entscheidung.

Es geht um die Genehmigung staatlicher Beihilfen, also der Erklärung der Kommission, dass die Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, bezüglich des Kernkraftwerks Hinkley Point.

Dagegen haben sich Österreich und Luxemburg gewehrt. Tschechien, Frankreich, Ungarn, Polen, Rumänien, die Slowakei und GB samt Nordirland (und natürlich die Kommission) waren der Widerpart.

Geholfen hats nix:

T-356/15 vom 12.07.2018
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Republik Österreich trägt ihren eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission.
3. Die Tschechische Republik, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, Ungarn, die Republik Polen, Rumänien, die Slowakische Republik und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6048484
Und es sieht so aus, als würde auch das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des EuG beim EuGH scheitern. Denn die Schlussanträge zu C-594/18 P vom 07.05.2020 schlagen dem EuGH folgende Entscheidung vor:
VII. Ergebnis
152. Unter diesen Umständen schlage ich daher vor, das von der Republik Österreich gegen das Urteil des Gerichts eingelegte Rechtsmittel zurückzuweisen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... #Footnote3
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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harald wrote:
24 Apr 2020, 14:52
Gleichbehandlungsrecht wird, so habe ich zumindest das Gefühl, immer öfter auf Sachverhalte angewandt, die Männer betreffen. :tw

C-450/18 vom 12.12.2019
Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der nationalen sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, einen Anspruch auf eine Rentenzulage vorsieht, während Männer, die sich in der gleichen Situation befinden, keinen solchen Anspruch haben.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4344990
Vielleicht werde ich doch noch Lügen gestraft, es bahnt sich eine interessante Entscheidung zu einer Art "Pensionssicherungsbeitrag" an, bei der das Gleichbehandlungsrecht auf einen Mann vielleicht doch nicht angewandt wird:

Generalanwalt C‑223/19 vom 07.05.2020
V. Ergebnis
116. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Landesgerichts Wiener Neustadt (Österreich) wie folgt zu beantworten:
1. Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Buchst. c der Richtlinie 2006/54/EG sind dahin auszulegen, dass sie innerstaatlichen Vorschriften, die für Bezieher von Betriebsrenten in Form von direkten Leistungszusagen staatlich kontrollierter Unternehmen die Einbehaltung eines Pensionssicherungsbeitrags bzw. die Nichterhöhung der vertraglich vorgesehenen Erhöhung ihrer Ansprüche vorsehen, wenn diese Ansprüche eine bestimmte, gesetzlich festgelegte Höhe überschreiten, zwar grundsätzlich entgegenstehen können. Dies setzt allerdings voraus, dass der Prozentsatz der Angehörigen des einen Geschlechts, deren Ansprüche diese Höhe überschreiten, an der Gesamtzahl der Angehörigen dieses Geschlechts in der Gruppe der Personen, die Anspruch auf die betreffende Art von Betriebsrente haben, wesentlich höher ist als der entsprechende Prozentsatz der Angehörigen des anderen Geschlechts und dieser Umstand nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden kann, der nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat.
2. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG ist dahin auszulegen, dass nationale Vorschriften, die für Bezieher von Betriebsrenten einer bestimmten Art, deren Höhe eine gesetzlich festgelegte Grenze überschreitet, die Einbehaltung eines Pensionssicherungsbeitrags bzw. die Nichterhöhung der vertraglich vorgesehenen Erhöhung ihrer Ansprüche vorsehen, keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne dieser Bestimmung darstellen, wenn die betreffende Art von Betriebsrenten nach einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr abgeschlossen wurde und daher Bezugsberechtigte von anderen Arten von Betriebsrenten, die später abgeschlossen wurden, nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fallen.
3. Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass eine Durchführung des Rechts der Union in der gesetzgeberischen Ausgestaltung von Betriebsrenten liegt, die in den Anwendungsbereich der Richtlinien 2006/54 und 2000/78 fallen, wenn dadurch eine rechtfertigungsbedürftige Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinien eingeführt wird.
4. Art. 16 der Charta ist dahin auszulegen, dass eine Beschränkung der Freiheit des Arbeitgebers, das Entgelt für die Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers zu vereinbaren, als gerechtfertigt anzusehen ist, wenn es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und einer dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung, wie dem Erhalt der Finanzierbarkeit der Rentensysteme, tatsächlich entspricht. Entsprechendes gilt für eine durch die Einbehaltung eines Teils eines Betriebsrentenanspruchs bewirkte Nutzungsbeschränkung des Eigentums eines Arbeitnehmers im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Charta, wenn dieser Anspruch einen gewissen Schwellenwert überschreitet und die Höhe des zu leistenden Beitrags von der Höhe des Anspruchs abhängt.
5. Art. 47 der Charta ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, in der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats einen eigenständigen Rechtsbehelf vorzusehen, der mit dem Hauptantrag auf die Prüfung der Vereinbarkeit nationaler Vorschriften mit dem Unionsrecht gerichtet ist, wenn andere Rechtsbehelfe, die nicht weniger günstig ausgestaltet sind als entsprechende nationale Klagen, die Prüfung dieser Vereinbarkeit als Vorfrage ermöglichen.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=6695354

:n57: :old :eu :tw
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Eine Kuhattacke und deren Haftungsfolgen haben lange die Nation beschäftigt. Der OGH hat einen Schlussstrich gezogen, mit Augenmaß:
OGH bestätigt Urteil nach Kuhattacke
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat im Fall der tödlichen Kuhattacke im Tiroler Pinnistal im Jahr 2014 die Teilschuld von Landwirt und Hundehalterin bestätigt. Damit bleibt es bei der Entscheidung, die im Vorjahr das Innsbrucker Oberlandesgericht (OLG) getroffen hatte.

Laut der Entscheidung des Gerichts hätte der Landwirt um die Gefährlichkeit seiner Mutterkühe wissen müssen, hieß es in einem Bericht der „Tiroler Tageszeitung“ (Dienstag-Ausgabe). „Zu dieser relativen Gefährlichkeit kam die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Schädigung im Bereich um Almgebäude und das Gasthaus“, so die Begründung. Der Bauer hätte als Tierhalter darauf reagieren müssen – eine Abzäunung sei eine „zumutbare und nicht gravierende Interessen beeinträchtigende Maßnahme“, hieß es seitens des Höchstgerichts.

Hundehalterin ignorierte Warnschilder
Das Todesopfer habe wiederum Warnschilder und Abstandsregeln ignoriert. Als Hundehalterin hätte sie aber „über damit verbundene Gefahren Bescheid wissen und sich dementsprechend verhalten“ müssen. Dem Witwer stehen nun rund 54.000 Euro und eine monatliche Rente von 600 Euro zu. Der Sohn bekommt rund 24.000 Euro sowie eine monatliche Rente in der Höhe von 180 Euro.

Schadenersatz und monatliche Rente
Am 28. Juli 2014 war im Pinnistal, einem Seitental des Stubaitals, eine 45-jährige Deutsche, die mit ihrem Hund unterwegs war, von Kühen plötzlich attackiert und zu Tode getrampelt worden – mehr dazu in Kuh-Urteil: Für Witwer-Anwalt ernüchternd. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen den Hinterbliebenen und dem Landwirt erging im Februar 2019 das erstinstanzliche Urteil im Zivilprozess.

Demnach musste der Bauer dem Witwer und dem Sohn rund 180.000 Euro sowie eine monatliche Rente an die beiden in der Höhe von insgesamt rund 1.500 Euro zahlen. Der gesamte Streitwert des Prozesses lag bei rund 490.000 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte noch im Jahr 2014 die Ermittlungen gegen den Landwirt eingestellt. Im August vergangenen Jahres hatten sowohl Bauer als auch Witwer, nach einer teilweisen Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils durch das OLG, beim OGH Revision eingebracht – mehr dazu in Tödliche Kuhattacke kommt vor OGH.
Quelle: https://tirol.orf.at/stories/3048259/
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Für alle Autofahrer spannend, die so wie ich, doch mal vergessen, das Ablaufdatum der Erste Hilfe Box regelmäßig zu kontrollieren:
LVwG Vbg 08.05.2020, LVwG-1-143/2020-R5 ua
KraftfahrG; ein Zulassungsbesitzer verstößt nicht gegen § 103 Abs 1 Z 2 lit a KraftfahrG, wenn das im Kraftfahrzeug bereitgestellte Verbandzeug ein darauf vermerktes Ablaufdatum überschritten hat; es kann auch nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Verbandzeug, nur, weil das darauf vermerkte Ablaufdatum überschritten ist, nicht mehr zur Wundversorgung geeignet ist und somit nicht dem § 102 Abs 10 leg cit entspricht
Quelle: JKU Newsletter, https://www.jku.at/fileadmin/gruppen/14 ... 2-2020.pdf
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Dejost, irgendwann hast du dich über die Unklarheit der Formulierungen in EuGH Judikaten echauffiert, ich finde den Post von dir nicht mehr.

Hier mal ein Beispiel für eine leicht verständliche EuGH Entscheidung, betreffend qualifizierte elektronische Signaturen und Klagseinbringung beim EuGH. Den spannenden Teil habe ich fett + unterstrichen herborgehoben:
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
28. Mai 2020(*)
„Rechtsmittel – Art. 73 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts – Beschluss des Gerichts, mit dem festgestellt wird, dass eine Klage wegen fehlender handschriftlicher Unterzeichnung offensichtlich unzulässig ist – Papierform einer Klageschrift mit dem Ausdruck einer authentifizierten elektronischen Signatur“
In der Rechtssache C‑309/19 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 15. April 2019,
Asociación de fabricantes de morcilla de Burgos mit Sitz in Villarcayo (Spanien), Prozessbevollmächtigte: J. Azcárate Olano, abogado, und E. Almarza Nantes, abogada,
Rechtsmittelführerin,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre und I. Naglis als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter) und F. Biltgen,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Asociación de fabricantes de morcilla de Burgos (Verband der Blutwursthersteller aus Burgos, Spanien) die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 14. Februar 2019, Asociación de fabricantes de morcilla de Burgos/Kommission (T‑709/18, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2019:107), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1214 der Kommission vom 29. August 2018 zur Eintragung eines Namens in das Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geografischen Angaben („Morcilla de Burgos“ [g.g.A.]) (ABl. 2018, L 224, S. 3, im Folgenden: streitige Verordnung) als offensichtlich unzulässig abgewiesen hat.
Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss
2 Mit am 28. November 2018 per Telefax bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob die Rechtsmittelführerin eine Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Verordnung und stellte zwei zusätzliche Anträge.
3 Da diese Verordnung am 5. September 2018 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden war, lief die Frist zur Erhebung einer Klage gegen sie am 29. November 2018 ab.
4 Am 29. November 2018 ging eine Fassung der Klageschrift in Papierform mit verschiedenen Unterschriften bei der Kanzlei des Gerichts ein.
5 In Anwendung von Art. 126 seiner Verfahrensordnung traf das Gericht die Entscheidung, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen, und wies die Klage als offensichtlich unzulässig ab.
6 Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass nach Art. 73 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung in der auf den Rechtsstreit anwendbaren Fassung „[d]as Original eines Verfahrensschriftstücks in Papierform … von dem Bevollmächtigten oder Anwalt der Partei handschriftlich unterzeichnet sein“ müsse und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Verstoß gegen diese Vorschrift nicht behoben werden könne (Rn. 10 und 12 des angefochtenen Beschlusses). Die Papierform der Klageschrift, die den Hauptteil der Klage und die zusätzlichen Anträge enthalte, sei als ein einziges Verfahrensschriftstück anzusehen (Rn. 15 des Beschlusses). Die Unterschriften auf diesem Verfahrensschriftstück schließlich seien eingescannt und damit nicht handschriftlich (Rn. 16 und 17 in Verbindung mit Rn. 6 des Beschlusses); daher sei die Klage offensichtlich unzulässig und brauche der Europäischen Kommission nicht zugestellt zu werden.
Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof
7 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,
– das Rechtsmittel für zulässig zu erklären,
– den angefochtenen Beschluss insgesamt aufzuheben,
– die vor dem Gericht erhobene Klage für zulässig zu erklären und die streitige Verordnung für nichtig zu erklären und
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
8 Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.
Zum Rechtsmittel
9 Mit ihrem einzigen Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in dem angefochtenen Beschluss einen Verstoß gegen die Anforderungen in Art. 73 seiner Verfahrensordnung in der Auslegung durch die Rechtsprechung festgestellt habe. Dieser Rechtsfehler beruhe auf einer Verfälschung des Sachverhalts durch das Gericht; es habe zu Unrecht angenommen, die Klageschrift enthalte gescannte Unterschriften. In Wirklichkeit handele es sich um qualifizierte elektronische Signaturen, die handschriftlichen Unterzeichnungen im Sinne von Art. 73 der Verfahrensordnung gleichzusetzen seien.
10 Nach Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt. Für die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie für die Beweiswürdigung ist daher allein das Gericht zuständig. Die Würdigung der Tatsachen und Beweise ist somit – vorbehaltlich ihrer Verfälschung – keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt (Urteil vom 13. November 2019, Outsource Professional Services/EUIPO, C‑528/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:961, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
11 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass sich eine Verfälschung in offensichtlicher Weise aus den Akten ergeben muss, ohne dass es einer neuen Tatsachen- und Beweiswürdigung bedarf; dabei obliegt es dem Rechtsmittelführer, genau anzugeben, welche Tatsachen das Gericht verfälscht haben soll, und darzulegen, welche Beurteilungsfehler das Gericht seines Erachtens zu dieser Verfälschung veranlasst haben (vgl. u. a. Urteil vom 13. November 2019, Outsource Professional Services/EUIPO, C‑528/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:961, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
12 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass auf der letzten Seite des Originals der Klageschrift für jeden der beiden unterzeichnenden Anwälte eine handschriftlich aussehende Unterschrift mit einer gedruckten Anmerkung „digital unterzeichnet von [Name jedes Anwalts]“ erscheint, nebst einem mit dem Namen jedes unterzeichnenden Anwalts verknüpften Identifikationscode sowie Datum und Uhrzeit der mutmaßlichen Verwendung der qualifizierten elektronischen Signaturen. Darüber hinaus enthalten die S. 25 und 26 des Originals der Klageschrift ebenfalls eine handschriftlich aussehende Unterschrift von jedem der Anwälte der Rechtsmittelführerin.
13 Was erstens die handschriftlich aussehenden Unterschriften auf den S. 25 und 26 sowie auf der letzten Seite der Klageschrift betrifft, so zeigt eine Inaugenscheinnahme des Originals der Klageschrift, dass es sich um Scans von handschriftlichen Unterzeichnungen handelt, was die Rechtsmittelführerin nicht bestreitet.
14 Was zweitens die angeblich qualifizierten elektronischen Signaturen auf der letzten Seite der Klageschrift betrifft, so ist ungeachtet der Tatsache, dass die Anwälte der Rechtsmittelführerin nationale Zertifikate für die Verwendung solcher Signaturen besitzen, festzustellen, dass das Original der Klageschrift in Papierform und nicht in elektronischer Form vorliegt und daher die auf diese Unterschriften bezogenen Angaben zwar die Worte „digital unterzeichnet“ enthalten, jedoch in keiner Weise elektronisch sind; vielmehr handelt es sich dabei, wie bei jedem anderen gedruckten Bestandteil der Klageschrift, um bloße gedruckte Angaben.
15 Drittens enthält das Original der Klageschrift in Papierform entgegen der Behauptung der Rechtsmittelführerin keine qualifizierten elektronischen Signaturen, sondern ist bestenfalls ein Papierausdruck eines mit der qualifizierten elektronischen Signatur jedes Anwalts der Rechtsmittelführerin versehenen elektronischen Dokuments.
16 Aus den drei vorstehenden Randnummern des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass das Gericht bei der Prüfung der Frage, ob nach Art. 73 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung in der auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung das Original der Klageschrift handschriftlich unterzeichnet war, nur die handschriftlich aussehenden Unterschriften auf den S. 25 und 26 sowie auf der letzten Seite des Originals der Klageschrift in Papierform berücksichtigen konnte, die, wie sich aus Rn. 13 des vorliegenden Urteils ergibt, eingescannte Unterschiften sind. Unter diesen Umständen kann dem Gericht nicht vorgeworfen werden, den Sachverhalt verfälscht zu haben, indem es in Rn. 6 des angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, dass die Klageschrift keine handschriftlichen Unterzeichnungen der Vertreter der Rechtsmittelführerin, sondern nur eingescannte Unterschriften enthielt.
17 Da das Original der Klageschrift keine qualifizierten elektronischen Signaturen enthalten darf, erübrigt sich die Prüfung des Vorbringens der Rechtsmittelführerin, dass solche Signaturen handschriftlichen Unterzeichnungen gleichzusetzen seien.
18 Da somit alle Unterschiften auf dem Original der Klageschrift in Papierform als gescannte Unterschriften einzustufen sind und die Rechtsmittelführerin nicht bestreitet, dass die Argumentation des Gerichts in den Rn. 10 bis 16 des angefochtenen Beschlusses in Bezug auf solche Unterschriften richtig ist, ist die Rüge der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen, mit der sie einen Rechtsfehler des Gerichts infolge einer Verfälschung des Sachverhalts geltend macht.
19 Was im Übrigen zunächst die Rüge der Rechtsmittelführerin betrifft, ihre Anwälte hätten für die Einreichung der Klageschrift die ihnen von der Kanzlei des Gerichts telefonisch erteilten Anweisungen befolgt, genügt der Hinweis, dass die Rechtsmittelführerin nicht geltend macht, die Kanzlei habe ihre Anwälte angewiesen, ein Original in Papierform, das nur gescannte Unterschriften und einen Ausdruck qualifizierter elektronischer Signaturen enthalte, in dreifacher Ausfertigung zu übermitteln, und sie dadurch zu einem Fehler verleitet habe.
20 Was sodann die Rüge anbelangt, das Erfordernis der handschriftlichen Unterzeichnung sei nach Inkrafttreten einer neuen Fassung der Verfahrensordnung des Gerichts mit Wirkung vom 1. Dezember 2018, d. h. nur zwei Tage nach Ablauf der Klagefrist, aufgehoben worden, so bestreitet die Rechtsmittelführerin nicht, dass die anzuwendende Fassung der Verfahrensordnung tatsächlich diejenige war, die vor der Fassung vom 1. Dezember 2018 in Kraft war.
21 Soweit sich die Rechtsmittelführerin schließlich auf den Grundsatz der Rückwirkung des milderen Strafgesetzes beruft, so stellt, abgesehen davon, dass es sich beim vorliegenden Rechtsstreit nicht um ein strafrechtliches Verfahren handelt, die im angefochtenen Beschluss vom Gericht festgestellte Unzulässigkeit der Klageschrift keine „Bestrafung“ der Rechtsmittelführerin dar; sie ist die bloße Folge der Nichtbeachtung einer in der Verfahrensordnung des Gerichts festgelegten Verfahrensvorschrift durch die Rechtsmittelführerin.
22 Nach alledem sind der einzige von der Rechtsmittelführerin vorgebrachte Rechtsmittelgrund und damit das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Kosten
23 Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
24 Da die Kommission die Verurteilung der Rechtsmittelführerin beantragt hat und diese unterlegen ist, sind der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Asociación de fabricantes de morcilla de Burgos trägt die Kosten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=1846803

Ich frage mich, ob eine elektronische Einbringung beim EuGH vor 01.12.2018 möglich war, bin aber diesmal zu faul zum Recherchieren.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Wir hatten schon mal einen potentiellen Mobbingfall bei der EIB hier besprochen, diese Entscheidung betrifft den Europäischen Auswertigen Dienst (EAD). Der Gerichtshof bestätigt die aufhebende Entscheidung des Gerichts, es kam zu Verfahrensfehlern (mangelnde Anhörung der Partei):

C‑187/19 P vom 04.06.2020
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) trägt die Kosten.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=2616638
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Aus dem Newsletter "Polizeirecht aktuell" der JKU, eine Entscheidung des LVwG NÖ:
Mangelnde Verlässlichkeit iSd § 8 Abs 1 WaffG liegt auch dann vor, wenn eine im Besitz eines Waffenbesitzkarteninhabers befindliche Waffe von diesem derart verwahrt wird, dass sie auch von ihm selbst nicht aufgefunden werden kann
LVwG-AV-967/001-2019 v 21.04.2020

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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Schadenersatz für GPS-Überwachung
Erstmals wurde laut Arbeiterkammer OÖ einem Arbeitnehmer wegen einer GPS-Überwachung im Dienstauto Schadenersatz zuerkannt. Mehrere Vorgesetzte einer Tiroler Firma hatten einen oberösterreichischen Außendienstler offenbar kontrolliert.

Der Mann war dadurch psychisch unter Druck gesetzt, er bekam nun mit Hilfe der AK vom Obersten Gerichtshof (OGH) 2.400 Euro zugesprochen.

Von Überwachung zufällig erfahren
Der Oberösterreicher hatte im Außendienst gearbeitet, wofür er einen Dienstwagen erhielt, den er laut Vertrag privat nutzen durfte. Rund zwei Monate nach Dienstantritt erfuhr der Mitarbeiter zufällig durch ein Telefonat mit dem Sekretariat, dass seine Fahrten anscheinend überwacht werden. Daraufhin habe er seinen direkten Vorgesetzten gebeten, etwas gegen die Überwachung – besonders in der Freizeit – zu unternehmen, schilderte die AK den Fall.

Zustimmung des Betriebsrates nötig
Doch trotz mehrerer Gespräche und schriftlicher Aufforderungen stellte die Firma diese Praxis nicht ein, hieß es weiters. Weil sich der Mann „den Eingriff in seine Privatsphäre nicht mehr bieten lassen wollte“, wandte er sich an die Rechtsberatung der AK. Für die Einführung derartiger Kontrollmaßnahmen hätte es der Zustimmung des Betriebsrates oder des Arbeitnehmers benötigt, was nicht der Fall gewesen sei, so die Begründung, warum man den Rechtsweg beschritt.

OGH: „Dauernde Kontrolle berührt Menschenwürde
Nachdem das Landesgericht und das Oberlandesgericht Linz die Überwachung als illegal bewertet und das Recht auf immateriellen Schadenersatz anerkannt hatten, musste nach neuerlicher Berufung der beklagten Firma der OGH entscheiden, informierte die AK am Dienstag. Das Höchstgericht bestätigte den bereits in erster Instanz zugesprochenen Schadenersatz von 400 Euro pro Arbeitsmonat – insgesamt 2.400 Euro.

„Mit dem GPS-Ortungssystem habe der Arbeitgeber eine technische Maßnahme zur dauernden Kontrolle ihrer Vertriebsmitarbeiter eingeführt, die die Menschenwürde berühre, weil damit die vom Arbeitnehmer in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert worden sei“, hieß es der OGH-Entscheidung. Einer Zustimmung des Klägers zur Ortung hätte es daher bedurft.

„Damit ist eine wichtige juristische Klarstellung gelungen“, betont Oberösterreichs AK-Präsident Johann Kalliauer. „Unzulässige GPS-Überwachung ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre, der teuer werden kann.“
Quelle: https://ooe.orf.at/stories/3054471/

Die fett markierte Stelle ist die Untertreibung des Tages. Durch heutige Technik ist die Nutzung von Ortungsdaten tatsächlich viel zu leicht geworden. Das Aufbegehren dagegen ist ein Krampf gegen Windmühlen.
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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Langer Entscheidung kurzer Sinn: Wenn aufgrund eines gegen seinen Willen entfernten Passagiers eine Verspätung eintritt, kann diese durch einen außergewöhnlichen Umstand gerechtfertigt sein. Eine Verspätung am darauffolgenden Tag kann aber nur noch in sehr engen Grenzen, die meist nicht der Realität entsprechen, gerechtfertigt werden.

C‑74/19 vom 11.06.2020
1. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 in Verbindung mit dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass das störende Verhalten eines Fluggastes, das es gerechtfertigt hat, dass der Bordkommandant des Luftfahrzeugs den betreffenden Flug zu einem anderen Flughafen als dem Zielflughafen umleitet, um den Fluggast und sein Gepäck von Bord zu bringen, unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht zum Auftreten dieses Verhaltens beigetragen oder unter Berücksichtigung der Anzeichen für ein solches Verhalten nicht versäumt hat, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat.
2. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit ihrem 14. Erwägungsgrund ist dahin auszulegen, dass sich ein ausführendes Luftfahrtunternehmen zur Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste bei großer Verspätung oder Annullierung eines Fluges auf einen „außergewöhnlichen Umstand“ berufen kann, der einen vorangegangenen Flug betroffen hat, den es selbst mit demselben Luftfahrzeug durchgeführt hat, sofern ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieses Umstands und der Verspätung oder Annullierung des späteren Fluges besteht, was das vorlegende Gericht insbesondere unter Berücksichtigung des Betriebsmodus des betreffenden Luftfahrzeugs durch das betreffende ausführende Luftfahrtunternehmen zu beurteilen hat.
3. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit ihrem 14. Erwägungsgrund ist dahin auszulegen, dass die Tatsache, dass ein Luftfahrtunternehmen einen Fluggast aus dem Grund, dass das ihn befördernde Luftfahrzeug von einem außergewöhnlichen Umstand betroffen wurde, mit einem Flug anderweitig befördert, den es selbst durchführt und der dazu führt, dass der Fluggast am Tag nach dem ursprünglich vorgesehenen Tag ankommt, keine „zumutbare Maßnahme“ darstellt, die dieses Unternehmen von seiner in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung vorgesehenen Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreit, es sei denn, es hat keine andere Möglichkeit einer anderweitigen direkten oder indirekten Beförderung mit einem Flug bestanden, den es selbst oder ein anderes Luftfahrtunternehmen durchführt und der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommt, oder die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung hat für das betreffende Luftfahrtunternehmen angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dargestellt, was das vorlegende Gericht zu beurteilen hat.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=9463808

Edit: Laut Schlussanträgen hat der Fluggast andere Fluggäste gebissen! :doh
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by dejost »

EU-Bürger müssen bei Reisen in andere Mitgliedsstaaten ein Ausweisdokument mitführen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am Mittwoch, eine solche Auflage verstoße nicht gegen das Recht auf Freizügigkeit. Ein gültiger Reisepass oder Ausweis erleichtere die mögliche Überprüfung der Identität von Personen, um festzustellen, ob sie ein Recht auf Freizügigkeit haben, schrieb der EuGH in einer Pressemitteilung.

EU-Länder dürften auch von ihren eigenen Bürgern verlangen, ein Reisedokument vorzuzeigen – allerdings dürfe ihnen die Einreise auch ohne Pass oder Ausweis nicht verwehrt werden, urteilten die Richter (Rechtssache C-35/20).

https://www.derstandard.at/story/200013 ... dabeihaben

Im Anlassfall hat ein Führerschein nicht ausgereicht.

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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Lufthansa hat bei den Vertragsklauseln eine aufs Dach bekommen:
Erfolg für Konsumentenschützer: 30 Vertragsklauseln der Lufthansa rechtswidrig
https://www.austrianwings.info/2021/06/ ... htswidrig/

Eine dieser Klauseln, betreffend das Abfliegen in der gebuchten Reihenfolge ist übrigens indirekt auch mit dem Thema Hidden City Ticketing verknüpft, über die Dejost schon an anderer Stelle berichtet hat.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Und hier hat es eine Klausel der AUA erwischt (Lufthansa hat sie auch im Programm):
Stornierungen wegen Corona
Gericht erklärt Rückerstattungsklausel von Austrian Airlines für ungültig
Austrian Airlines verweigert Kunden nach Flugausfällen die Rückerstattung der Ticketkosten, wenn diese über Onlinedienstleister gebucht wurden. Zu Unrecht, wie jetzt ein Gericht in Wien entschied.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/geric ... c8702d2e8a

Hatte man also zB über Expedia oder eine andere OTA (Online Travel Agency) gebucht, wäre die Erstattung der Kosten an OTA gegangen. Das ist dann unangenehm, wenn OTA selbst insolvent ist oder dieser im Ausland sitzt.

Sehr konsumentenfreundlich ist die österreichische Lösung, in Deutschland wird zu diesem Thema regelmäßig langwierig prozessiert.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Streik ist kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der FluggastrechteVO, daher steht Entschädigung zu, sagt der EuGH.

https://help.orf.at/stories/3209081/

Edit: Für die Juristen:

EuGH vom 06.10.2021, C-613/20
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Gehaltsforderungen und/oder Sozialleistungen der Beschäftigten, die durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens aus Solidarität mit einem Streik eingeleitet wurden, der gegen die Muttergesellschaft geführt wird, zu deren Tochtergesellschaften dieses Unternehmen gehört, an denen sich eine für die Durchführung eines Fluges unerlässliche Beschäftigtengruppe dieser Tochtergesellschaft beteiligt und die über die ursprünglich von der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft angekündigte Dauer hinaus fortgeführt werden, obwohl inzwischen eine Einigung mit der Muttergesellschaft erzielt wurde, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

EuGH: Werbung darf sich nicht als E-Mail tarnen
https://orf.at/stories/3237854/

Wer hier zuerst an Spam denkt, liegt falsch, es geht um Werbung vom Freemailprovider, die so aussieht wie ein neu eingegangenes Mail (Inbox advertising).

Edit: Für die Jursiten:

EuGH vom 25.11.2021, C‑102/20
1. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Einblendung von Werbenachrichten in der Inbox eines Nutzers eines E‑Mail-Dienstes in einer Form, die der einer tatsächlichen E‑Mail ähnlich ist, und an derselben Stelle wie eine solche E‑Mail, eine „Verwendung … elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, ohne dass die Bestimmung der Empfänger dieser Nachrichten nach dem Zufallsprinzip oder die Belastung, die dem Nutzer auferlegt wird, insoweit von Bedeutung sind, da diese Verwendung nur unter der Voraussetzung gestattet ist, dass der Nutzer klar und präzise über die Modalitäten der Verbreitung solcher Werbung, namentlich in der Liste der empfangenen privaten E‑Mails, informiert wurde und seine Einwilligung, solche Werbenachrichten zu erhalten, für den konkreten Fall und in voller Kenntnis der Sachlage bekundet hat.

2. Anhang I Nr. 26 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen ist, dass ein Vorgehen, das darin besteht, in der Inbox eines Nutzers eines E‑Mail-Dienstes Werbenachrichten in einer Form, die der einer tatsächlichen E‑Mail ähnlich ist, und an derselben Stelle wie eine solche E‑Mail einzublenden, unter den Begriff des „hartnäckigen und unerwünschten Ansprechens“ der Nutzer von E‑Mail-Diensten im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn die Einblendung dieser Werbenachrichten zum einen so häufig und regelmäßig war, dass sie als „hartnäckiges Ansprechen“ eingestuft werden kann, und zum anderen bei Fehlen einer von diesem Nutzer vor der Einblendung erteilten Einwilligung als „unerwünschtes Ansprechen“ eingestuft werden kann.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

EuGH: Urlaubsgeld auch bei einseitiger Kündigung fällig
https://orf.at/stories/3237871/

Der AN hat das Arbeitsverhältnis selbst ohne wichtigen Grund vorzeitig beendet (unberechtigter Austritt).
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Wenn ein (Erotik-)Versandshop eine Telefonnummer hat, dann muss er sie auch im Widerrufsbelehrungsformblatt angeben!

EuGH vom 14.05.2020, C‑266/19
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Bei Kurzzeitvermietungen von Wohnungen hat der EuGH Beschränkungen als vereinbar angesehen, wenn es um Wohnungsmangel geht:

EuGH vom 22.09.2020, C‑724/18 und C‑727/18
1. Die Art. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt sind dahin auszulegen, dass die Richtlinie auf eine Regelung eines Mitgliedstaats über gewerblich oder privat ausgeübte Tätigkeiten der regelmäßigen Kurzzeitvermietung von möblierten Wohnungen an Personen, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen, anwendbar ist.

2. Art. 4 der Richtlinie 2006/123 ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die die Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Wohnraumvermietung von einer vorherigen Genehmigung abhängig macht, unter den Begriff der Genehmigungsregelung im Sinne von Nr. 6 der Vorschrift fällt.

3. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/123 ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die bestimmte Tätigkeiten der regelmäßigen Kurzzeitvermietung von möblierten Wohnungen an Personen, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen, um ein ausreichendes Angebot an Wohnungen, die längerfristig zu erschwinglichen Preisen vermietet werden, zu gewährleisten, in bestimmten Gemeinden mit besonders hohem Mietpreisdruck einer Regelung der vorherigen Genehmigung unterwirft, durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses der Bekämpfung des Mietwohnungsmangels gerechtfertigt und in Bezug auf das angestrebte Ziel verhältnismäßig ist, da dieses nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, insbesondere weil eine nachträgliche Kontrolle zu spät erfolgen würde, um wirksam zu sein.

4. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, mit der eine Regelung eingeführt wird, die die Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Vermietung von möblierten Wohnungen von einer vorherigen Genehmigung, die auf den Kriterien beruht, dass es sich um eine „regelmäßige Kurzzeitvermietung … an Personen, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen“, handelt, abhängig macht und die örtlichen Behörden ermächtigt, die Voraussetzungen für die Erteilung der entsprechenden Genehmigungen nach den Vorgaben der Regelung im Hinblick auf das Ziel der sozialen Vermischung und unter Berücksichtigung der Lage auf den örtlichen Wohnungsmärkten und der Erforderlichkeit, den Wohnungsmangel nicht zu verstärken, im Einzelnen festzulegen und die Genehmigungen bei Bedarf mit der Verpflichtung zu einem Ausgleich durch gleichzeitige akzessorische Umwandlung von anders genutztem Raum in Wohnraum zu verbinden, nicht entgegensteht, sofern die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigungen den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 entsprechen und die Ausgleichspflicht unter transparenten und zugänglichen Bedingungen erfüllt werden kann.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

2 Posts zuvor ging es um Widerrufsrecht, hier nun auch.

Parship wurde vom EuGH mitgeteilt, dass Leistungen bei Widerruf nur zeitanteilig zu verrechnen sind, es sei denn, die gesamte Leistung sei schon erbracht. Online durchgeführte Persönlichkeitstests sind keine Lieferung digitaler Inhalte. Wen wunderts.

EuGH vom 08.10.2020, C‑641/19
1. Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass zur Bestimmung des anteiligen Betrags, den der Verbraucher an den Unternehmer zu zahlen hat, wenn er ausdrücklich verlangt hat, dass die Ausführung des geschlossenen Vertrags während der Widerrufsfrist beginnt, und dann den Vertrag widerruft, grundsätzlich auf den im Vertrag vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen und der geschuldete Betrag zeitanteilig zu berechnen ist. Nur wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden, ist bei der Berechnung des dem Unternehmer nach Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie zustehenden Betrags der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen.

2. Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2011/83 im Licht deren 50. Erwägungsgrundes ist dahin auszulegen, dass für die Beurteilung, ob der Gesamtpreis im Sinne dieser Bestimmung überhöht ist, der Preis für die Dienstleistung, den der betreffende Unternehmer anderen Verbrauchern unter den gleichen Bedingungen anbietet, sowie der Preis einer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von anderen Unternehmern erbrachten gleichwertigen Dienstleistung zu berücksichtigen sind.

3. Art. 16 Buchst. m in Verbindung mit Art. 2 Nr. 11 der Richtlinie 2011/83 ist dahin auszulegen, dass die Erstellung eines Persönlichkeitsgutachtens auf einer Partnervermittlungs-Website auf der Grundlage eines auf dieser Website durchgeführten Persönlichkeitstests keine Lieferung „digitaler Inhalte“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

In den Mautgebühren dürfen nur Infrastrukturkosten stecken und eine Neuberechnung in einem laufenden Verfahren darf auch nicht passieren.

EuGH vom 28.10.2020, C‑321/19
1. Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge in der durch die Richtlinie 2006/38/EG des Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Kosten der Verkehrspolizei nicht unter den Begriff der „Kosten für [den] Betrieb“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.

2. Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren die Infrastrukturkosten des betreffenden Verkehrswegenetzes wegen nicht unerheblicher Berechnungsfehler oder wegen der Berücksichtigung von Kosten, die nicht unter den Begriff der „Infrastrukturkosten“ im Sinne dieser Bestimmung fallen, um 3,8 % bzw. 6 % übersteigen.

3. Der Einzelne kann sich vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat unmittelbar auf die Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung, ausschließlich die Infrastrukturkosten im Sinne von Art. 7 Abs. 9 zu berücksichtigen, berufen, wenn der Mitgliedstaat dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist oder sie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.

4. Die Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung ist im Hinblick auf Rn. 138 des Urteils vom 26. September 2000, Kommission/Österreich (C‑205/98, EU:C:2000:493), dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass ein überhöhter Mautgebührensatz durch eine im gerichtlichen Verfahren eingereichte Neuberechnung der Infrastrukturkosten nachträglich gerechtfertigt wird.
Das wäre doch ein spannendes Thema: Ländervergleich aller EU Länder, welche Maut pro Streckenkilometer die teuerste ist und dann dort ein Verfahren anstrengen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Eine Sperre bei NFC ist grundsätzlich technisch möglich, gegenteilige Behauptungen müssen bewiesen werden. Das urteilte der EuGH.

EuGH vom 11.11.2020, C-287/19
1. Art. 52 Nr. 6 Buchst. a in Verbindung mit Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG ist dahin auszulegen, dass er die Informationen und Vertragsbedingungen bestimmt, die von einem Zahlungsdienstleister mitzuteilen sind, der mit dem Nutzer seiner Dienste gemäß den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Modalitäten eine Vermutung der Zustimmung zur Änderung des zwischen ihnen geschlossenen Rahmenvertrags vereinbaren möchte, dass er aber keine Beschränkungen hinsichtlich der Eigenschaft des Nutzers oder der Art der Vertragsbedingungen, die Gegenstand einer solchen Vereinbarung sein können, festlegt; hiervon unberührt bleibt jedoch, wenn es sich bei dem Nutzer um einen Verbraucher handelt, die Möglichkeit der Prüfung, ob diese Klauseln im Licht der Bestimmungen der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen missbräuchlich sind.

2. Art. 4 Nr. 14 der Richtlinie 2015/2366 ist dahin auszulegen, dass es sich bei der Nahfeldkommunikationsfunktion (Near Field Communication) einer personalisierten multifunktionalen Bankkarte, mit der Kleinbetragszahlungen zulasten des verknüpften Kundenkontos getätigt werden können, um ein „Zahlungsinstrument“ im Sinne dieser Bestimmung handelt.

3. Art. 63 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2015/2366 ist dahin auszulegen, dass eine kontaktlose Kleinbetragszahlung unter Verwendung der Nahfeldkommunikationsfunktion (Near Field Communication) einer personalisierten multifunktionalen Bankkarte als „anonyme“ Nutzung des fraglichen Zahlungsinstruments im Sinne dieser Ausnahmeregelung anzusehen ist.

4. Art. 63 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2015/2366 ist dahin auszulegen, dass sich ein Zahlungsdienstleister, der sich auf die in dieser Bestimmung enthaltene Ausnahmeregelung berufen möchte, nicht darauf beschränken kann, zu behaupten, das betreffende Zahlungsinstrument könne nicht gesperrt oder seine weitere Nutzung nicht verhindert werden, obwohl dies nach dem objektiven Stand der Technik nicht nachweislich unmöglich ist.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Ein spannender FluggastrechteVO Fall, den die AUA produziert hat, die Vorhersage des Ausgangs war diesmal nicht ganz eindeutig. Zielflughafen war ein Flughafen in Berlin, Ankunft erfolgte wegen Umleitung auf einen anderen Flughafen, ebenso in Berlin. Die Frage war, ob es einen Entschädigungsanspruch nach der VO gibt. Der EuGH hat gesagt, es handelt sich um keine Annullierung und bei der Verspätung, reicht nicht die Landung in Berlin als Ergebnis heranzuziehen, sondern es ist noch auf den Anschlusstransport zum ursprünglichen Zielflughafen (oder einen nahen Zielort) abzustellen. Wenn kein Anschlusstransport von der Fluglinie gewährt wird, möge man Schadenersatzrecht bemühen.

EuGH vom 22.04.2021, C‑826/19
1. Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass bei der Umleitung eines Fluges zu einem Flughafen, der dieselbe Stadt wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bedient, die in dieser Bestimmung vorgesehene Übernahme der Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem einen zu dem anderen Flughafen nicht an die Voraussetzung geknüpft ist, dass der erste Flughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder in derselben Region wie der zweite Flughafen liegt.

2. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass ein Fluggast keinen Ausgleichsanspruch wegen Annullierung hat, wenn sein Flug umgeleitet wurde und er auf einem Flughafen gelandet ist, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient. Der Fluggast eines zu einem Ausweichflughafen, der denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bedient, umgeleiteten Fluges hat jedoch grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch nach dieser Verordnung, wenn er sein Endziel mindestens drei Stunden nach der vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ursprünglich vorgesehenen Ankunftszeit erreicht.

3. Die Art. 5 und 7 sowie Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass für die Ermittlung des Ausmaßes der Ankunftsverspätung, die ein Fluggast erleidet, dessen Flug umgeleitet wurde und der auf einem Flughafen gelandet ist, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, auf den Zeitpunkt abzustellen ist, an dem der Fluggast – nach Beendigung seiner Anschlussbeförderung – an dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen bzw. gegebenenfalls einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen vereinbarten Zielort tatsächlich ankommt.

4. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass sich ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, um sich von seiner Pflicht zu befreien, Fluggästen bei erheblich verspäteter Ankunft ihres Fluges Ausgleichszahlungen zu leisten, auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen kann, der nicht den verspäteten Flug, sondern einen vorangegangenen Flug betroffen hat, den es selbst mit demselben Flugzeug im Rahmen von dessen Vorvorvorrotation durchgeführt hat, sofern ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieses Umstands und der erheblich verspäteten Ankunft des späteren Fluges besteht, was das vorlegende Gericht insbesondere unter Berücksichtigung des Betriebsmodus des betreffenden Flugzeugs durch das betreffende ausführende Luftfahrtunternehmen zu beurteilen hat.

5. Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast im Fall der Umleitung seines Fluges und dessen Landung auf einem Flughafen, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, die Übernahme der Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder gegebenenfalls zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit ihm vereinbarten Zielort von sich aus anbieten muss.

6. Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass der Verstoß des ausführenden Luftfahrtunternehmens gegen seine Pflicht zur Übernahme der Kosten für die Beförderung eines Fluggastes vom Ankunftsflughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort dem Fluggast keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung verleiht. Hingegen begründet dieser Verstoß einen Anspruch des Fluggastes auf Erstattung der von ihm aufgewendeten Beträge, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um das Versäumnis des Luftfahrtunternehmens auszugleichen.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Ein Urteil zu einer Taxi App, welches vermutlich auch Muster für die Neuregelung des Mietwagensektors in Österreich war.

EuGH vom 03.12.2020, C‑62/19
1. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), der auf Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft verweist, ist dahin auszulegen, dass ein Vermittlungsdienst, der darin besteht, mittels einer Smartphone-Applikation Personen, die eine innerstädtische Fahrt unternehmen möchten, und zugelassene Taxifahrer gegen Entgelt miteinander in Kontakt zu bringen – wobei der Anbieter dieses Dienstes zu diesem Zweck Dienstleistungsverträge mit den betreffenden Taxifahrern geschlossen hat und von ihnen einen festen monatlichen Betrag erhält, ihnen aber weder die Aufträge übermittelt noch den Fahrpreis festlegt, noch dessen Begleichung durch die genannten Personen gewährleistet, die vielmehr direkt beim Taxifahrer zahlen, und auch weder die Qualität der Fahrzeuge und deren Fahrer noch das Verhalten der Fahrer kontrolliert –, einen „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne der genannten Bestimmungen darstellt.

2. Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2015/1535 ist dahin auszulegen, dass eine Regelung einer örtlichen Behörde, mit der die Erbringung eines Vermittlungsdiensts, der darin besteht, mittels einer Smartphone-Applikation Personen, die eine innerstädtische Fahrt unternehmen möchten, und zugelassene Taxifahrer gegen Entgelt miteinander in Kontakt zu bringen, und der als „Dienstleistung der Informationsgesellschaft“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2015/1535 zu qualifizieren ist, einer Zulassungspflicht unterworfen wird, der andere Anbieter von Taxibestelldiensten bereits unterliegen, keine „technische Vorschrift“ im Sinne der erstgenannten Bestimmung darstellt.

3. Art. 56 AEUV, Art. 3 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2000/31 sowie Art. 16 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt sind dahin auszulegen, dass sie nicht auf einen Rechtsstreit anwendbar sind, dessen maßgebliche Umstände sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.

Art. 4 der Richtlinie 2000/31 ist dahin auszulegen, dass er nicht auf eine mitgliedstaatliche Regelung anwendbar ist, mit der die Erbringung eines Vermittlungsdiensts, der darin besteht, mittels einer Smartphone-Applikation Personen, die eine innerstädtische Fahrt unternehmen möchten, und zugelassene Taxifahrer gegen Entgelt miteinander in Kontakt zu bringen, und der als „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 – der auf Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2015/1535 verweist – zu qualifizieren ist, einer Zulassungspflicht unterworfen wird, der andere Anbieter von Taxibestelldiensten bereits unterliegen.

Die Art. 9 und 10 der Richtlinie 2006/123 sind dahin auszulegen, dass sie einer mitgliedstaatlichen Regelung, mit der die Erbringung eines Vermittlungsdiensts, der darin besteht, mittels einer Smartphone-Applikation Personen, die eine innerstädtische Fahrt unternehmen möchten, und zugelassene Taxifahrer gegen Entgelt miteinander in Kontakt zu bringen, vom Erhalt einer Vorabgenehmigung abhängig gemacht wird, entgegenstehen, wenn die Voraussetzungen für den Erhalt dieser Genehmigung nicht den in diesen Artikeln vorgesehenen Anforderungen genügen, etwa weil technische Anforderungen gestellt werden, die nicht zu der betreffenden Dienstleistung passen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Zwischen AMD und Intel geht es echt zu. Eine Kostprobe ist der EuGH Fall vom 26.01.2022, T‑286/09 RENV.

Wirklich zusammenfassen kann ich es nicht (bzw. will ich mir die Zeit dazu nicht nehmen), also bitte selbst lesen. :PC
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Österreich hat einen Vergaberechtsfall gewonnen, es ging um Wiener Wohnen und die Frage, ob eine Vergabe stattfinden hätte müssen.

Die Kommission scheiterte an der Beweislast und konnte nicht nachweisen, dass es sich um einen öffentlichen Bauauftrag handelte (anstelle eines Mietvertrags mit laaaangem Kündigungsverzicht).

EuGH vom 22.04.2021, C-537/19 :eu
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harald
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

Post by harald »

Wieder mal eine Bürgerinitiative, die von der Kommission nicht ausreichend begründet abgelehnt wurde und der EuGH musste eingreifen:

EuGH vom 12.05.2021, T-789/19

Es ging in der Bürgerinitiative um Einhaltung des Völkerrechts beim Handel mit "besetzten Gebieten". Die Vermutung, dass es um Israel geht, ist naheliegend.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Und mal wieder FluggastrechteVO: Liegen Start und Ziel nicht in der EU, die Zwischenlandung jedoch schon in der EU, erfolgt keine Anwendung der VO.

Der EuGH ist hier von den Schlussanträgen des Generalanwalts abgewichen!

EuGH vom 24.02.2022, C‑451/20
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass diese Verordnung auf eine einheitlich gebuchte, aus zwei Teilflügen bestehende Flugverbindung mit Anschlussflug, bei der die Teilflüge von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft durchzuführen sind, nicht anwendbar ist, wenn sich sowohl der Abflughafen des ersten Teilflugs als auch der Ankunftsflughafen des zweiten Teilflugs in einem Drittstaat befinden und nur der Flughafen, auf dem die Zwischenlandung erfolgt, im Gebiet eines Mitgliedstaats liegt.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Ein EuGH Fall aus dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD): Unbefugtes Fernbleiben vom Dienst ist nur körperliche Abwesenheit, nicht ein widerspenstiger Mitarbeiter! :n3: :old :eu :tw

EuGH vom 03.03.2022, C‑162/20 P
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Ganz klare Worte vom EuGH, dass es grundsätzlich kein europäisches Beweisverwertungsverbot bei widerrechtlicher Vorratsdatenspeicherung gibt.

Vorratsdaten müssen richterlicher Kontrolle Unterliegen, es gibt kein Beweisverbot, aber Transparenz, Äquidistanz und Effektivität müssen gewahrt werden (wie auch immer das aussehen soll).

EuGH vom 05.04.2022, C‑140/20
1. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften entgegensteht, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der Verkehrs- und der Standortdaten vorsehen. Dagegen steht der genannte Art. 15 Abs. 1 im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte Rechtsvorschriften nicht entgegen, die zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit

– auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;

– für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP‑Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen;

– eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen;

– vorsehen, dass den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, aufgegeben werden kann, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern.

Diese Rechtsvorschriften müssen durch klare und präzise Regeln sicherstellen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen.

2. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in der durch die Richtlinie 2009/136 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8, 11 und von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen die zentralisierte Bearbeitung von Ersuchen um Zugang zu von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste auf Vorrat gespeicherten Daten, die von der Polizei im Rahmen der Ermittlung und Verfolgung schwerer Straftaten gestellt werden, einem Polizeibeamten obliegt, der von einer innerhalb der Polizei eingerichteten Einheit, die bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben über einen gewissen Grad an Autonomie verfügt, unterstützt wird und dessen Entscheidungen später gerichtlich überprüft werden können.

3. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht die Wirkungen einer ihm nach nationalem Recht in Bezug auf nationale Rechtsvorschriften, die den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorschreiben, obliegenden Ungültigerklärung wegen Unvereinbarkeit dieser Rechtsvorschriften mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in der durch die Richtlinie 2009/136 geänderten Fassung im Licht der Charta der Grundrechte zeitlich begrenzt. Die Zulässigkeit der durch eine solche Vorratsspeicherung erlangten Beweismittel unterliegt nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Beachtung u. a. der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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„Buchung abschließen“ = „zahlungspflichtig bestellen“, die Frage, ob eine Buchungsbestellknopfaufschrift im Internet gleichzustellen ist, sollte der EuGH betreffend Fernabsatz klären. Er gibt ein paar Hinweise und delegiert dann wieder ans vorlegende Gericht.

EuGH vom 07.04.2022, C‑249/21
Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass es für die Feststellung, ob im Rahmen eines Bestellvorgangs zum Abschluss eines Fernabsatzvertrags auf elektronischem Wege eine auf der Schaltfläche für die Bestellung oder auf einer ähnlichen Funktion verwendete Formulierung wie „Buchung abschließen“ den Worten „zahlungspflichtig bestellen“ im Sinne dieser Bestimmung „entspricht“, allein auf die Worte auf dieser Schaltfläche oder dieser ähnlichen Funktion ankommt.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Auch Verbraucherschutzverbände dürfen Meta (vormals Facebook) nach DSGVO klagen.

EuGH vom 28.04.2022, C-319/20
Art. 80 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein Verband zur Wahrung von Verbraucherinteressen gegen den mutmaßlichen Verletzer des Schutzes personenbezogener Daten ohne entsprechenden Auftrag und unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte betroffener Personen Klage mit der Begründung erheben kann, dass gegen das Verbot der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken, ein Verbraucherschutzgesetz oder das Verbot der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen verstoßen worden sei, nicht entgegensteht, sofern die betreffende Datenverarbeitung die Rechte identifizierter oder identifizierbarer natürlicher Personen aus dieser Verordnung beeinträchtigen kann.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Die Slowakei hat eine Amnestie zurückgenommen und der EuGH musste sich betreffend einen Europäischen Haftbefehl mit den Wirkungen dieser Amnestie auseinandersetzen.

EuGH vom 16.12.2021, C‑203/20
1. Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen eine Person, deren Strafverfolgung ursprünglich durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auf der Grundlage einer Amnestie eingestellt wurde und dann nach dem Erlass eines Gesetzes, mit dem diese Amnestie zurückgenommen und diese gerichtliche Entscheidung aufgehoben wurde, wieder auflebt, nicht entgegensteht, wenn diese Entscheidung vor einer Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der betroffenen Person ergangen ist.

2. Die Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren ist dahin auszulegen, dass sie weder auf ein Verfahren mit Gesetzgebungscharakter über die Rücknahme einer Amnestie noch auf ein gerichtliches Verfahren, das die Überprüfung der Vereinbarkeit dieser Rücknahme mit der nationalen Verfassung zum Gegenstand hat, anwendbar ist.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Staatsbürgerschaftsentzug fällt unter Unionsrecht (hier wäre die Person staatenlos geworden), ein Entzug wegen verwaltungsstrafrechtlicher Verkehrsvergehen ist überzogen.

EuGH vom 18.01.2022, C‑118/20
1. Die Situation einer Person, die die Staatsangehörigkeit nur eines Mitgliedstaats besitzt und diese mit der Folge des Verlusts ihres Unionsbürgerstatus zwecks Erwerbs der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats aufgibt, nachdem ihr die Behörden dieses Mitgliedstaats die Verleihung von dessen Staatsbürgerschaft zugesichert haben, fällt ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht, wenn diese Zusicherung widerrufen wird und die betroffene Person infolgedessen daran gehindert wird, den Unionsbürgerstatus wiederzuerlangen.

2. Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls die nationalen Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats zu prüfen haben, ob der Widerruf der Zusicherung der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats, durch den der Verlust des Unionsbürgerstatus für die betreffende Person endgültig wird, im Hinblick auf seine Folgen für die Situation dieser Person mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Diesem Erfordernis der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht Genüge getan, wenn der Widerruf mit straßenverkehrsrechtlichen Verwaltungsübertretungen begründet wird, die nach dem anwendbaren nationalen Recht rein finanziell geahndet werden.
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Einige Entscheidungen aus dem Bereich Mobilfunk zum Thema Roaming:

Ausschluss Roaming bei zusätzlicher Tarifoption 'Nulltarif' unzulässig: EuGH vom 02.09.2021, C‑854/19
Art. 3 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und ‑diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union ist dahin auszulegen, dass eine auf der Aktivierung einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ beruhende Nutzungsbeschränkung beim Roaming mit den Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 unvereinbar ist.
Gleiches gilt für die Einschränkung bei Thethering (EuGH vom 02.09.2021, C‑5/20) und bei Bandbreitenlimitierung (EuGH vom 02.09.2021, C‑34/20)
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Re: Interessante Entscheidungen (Rechtspanorama)

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Flugastrechte VO: Eine Änderung der Abflugzeit von weniger als 3 Stunden ist keine Annullierung.

EuGH vom 21.12.2021, C‑395/20
Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein Flug nicht als „annulliert“ im Sinne dieser Bestimmungen angesehen werden kann, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen dessen Abflugzeit ohne sonstige Änderung des Fluges um weniger als drei Stunden verschiebt.
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